Interview

"Infektionsrisiken werden unterschätzt"

Dr. Markus Frühwein ist Allgemein- und Reisemediziner in München. Mit der "Ärzte Zeitung" spricht er darüber, welche Gefahren Reisende oft unterschätzen — und worauf bestimmte Gruppen achten sollten.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:

Dr. Markus Frühwein: Die Standardimpfungen für Deutschland, gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten und Masern. Manche haben sie nicht, und vielen ist nicht bewusst, dass das auch im Ausland Risiken sind.

An einer Maserninfektion stirbt jeder Tausendste. In Afrika ist das Risiko zu erkranken viel höher, die Impfraten viel niedriger. Dort sterben bis heute jedes Jahr über 100 000 Kinder an Masern. Infektionsrisiken werden auch sonst unterschätzt.

Was wird überschätzt?

Frühwein: Das Risiko für Tollwut. Es gibt weltweit etwa 60.000 Tollwuttote pro Jahr, die meisten in Indien. Aber dass ein Tourist erkrankt, ist sehr selten.

Dass jemand ohne Impfung im Ausland Masern oder Tetanus bekommt, ist viel wahrscheinlicher. Noch viel wahrscheinlicher ist ein Verkehrsunfall.

Dr. Markus Frühwein

Inhaber einer Praxis für Allgemein- und Reisemedizin in München.

Führt ein Praxisteam aus acht Ärzten und zwölf weiteren Mitarbeitern.

Arbeitsschwerpunkte sind Infektionen und Tropenmedizin.

Er war in verschiedenen Ländern für kleinere Hilfsorganisationen tätig.

Schützen sich Reisende genug vor anderen Infektionen wie Malaria, Zika, Dengue- oder Chikungunya-Fieber?

Frühwein: Gegen diese Krankheiten gibt es keine Impfung, da hilft nur der Schutz gegen Mücken. Bei Malaria ist oft das Bewusstsein schwer zu vermitteln, sich auch mit Tabletten zu schützen. Das ist wirksam und gut verträglich. Oft heißt es ,Es wird schon gutgehen.‘ Aber in Hochrisikogebieten gibt es ein relevantes Risiko, zu erkranken.

Bekommt jemand Malaria, liegt er irgendwo in einem Entwicklungsland wie Malawi im Krankenhaus. Ich würde versuchen, das zu vermeiden. In Deutschland lässt sich die Krankheit ganz gut behandeln, wenn sie rechtzeitig erkannt wird.

Wenn jemand einen Unfall hat oder krank wird, ist die Frage, vor Ort behandeln oder sich nach Hause bringen lassen. Was ist wann sinnvoll?

Frühwein: Die Behandlung beginnt immer vor Ort. Ein Rücktransport startet nicht in 20 Minuten, das ist logistisch ein Riesenaufwand. Im Notfall gehen Patienten am besten in die nächste Klinik und sehen dort weiter.

Sie sollten schnell Kontakt zu einem Arzt in Deutschland suchen, den sie kennen, oder zu einem Tropeninstitut oder tropenmedizinisch erfahrenen Arzt. Mit ihnen und den Ärzten vor Ort können sie die Dringlichkeit abschätzen.

Um das Weitere zu koordinieren.

Frühwein: Absolut. Es macht keinen Sinn, einen Patienten mit Dengue-Fieber von Thailand nach Deutschland zu fliegen. Die Ärzte dort haben damit viel mehr Erfahrung als hier.

Wenn dagegen jemand mit einer komplexen Fraktur in Zentralafrika liegt, die dort nicht behandelt werden kann, kann es sinnvoll sein, ihn nach Deutschland zu fliegen.

Würden Sie bei Senioren mit einem Herzinfarkt oder Schlaganfall zum Rücktransport raten?

Frühwein: Die Akutbehandlung muss sofort erfolgen, aber im Anschluss macht ein schneller Rücktransport Sinn. Es kann schließlich sein, dass so jemand zwei, drei Monate im Krankenhaus verbringt.

Das ist nicht wie bei einem Dengue-Patienten, der im besten Fall nach wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen wird.

Worauf sollten Familien achten?

Frühwein: Wenn jemand mit einem sechs Monate alten Kind in den Tropen unterwegs ist, muss er das gut vorbereiten. Kinder sollten einen guten Impfschutz haben. Das schließt bestimmte Länder aus.

Dann warten die Eltern besser noch ein Jahr, bis das Risiko vertretbar ist. Eltern sollten immer schauen, wo die nächsten Krankenhäuser sind, die auch ein Kind versorgen können. Kinder dehydrieren schnell, frieren schnell, und brauchen relativ schnell mal medizinische Versorgung.

Da hat man nicht wie bei Erwachsenen mal zwei, drei Tage Zeit, sondern es muss zügig gehen. In einer Kinderreiseapotheke sind andere Sachen als für Erwachsene, etwa andere Antibiotika und Elektrolytlösungen. Mückenschutz ist sehr wichtig. Japanische Enzephalitis sehen wir beispielsweise öfter bei Kindern als bei Erwachsenen.

Lesen Sie dazu auch: Krank im Urlaub: Unterwegs mit dem ADAC-Ambulanzjet

Mehr zum Thema

Influenza

Impfung gegen Influenza mit deutlichem Zusatznutzen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen