Interventionelle Neuroradiologie erspart vielen Patienten die Op

Von Günther Klein Veröffentlicht:

Der "Hirnkatheter" mit der Möglichkeit gefäßeröffnender und gefäßverschließender Therapieformen ist heute ein unverzichtbarer Teil innerhalb eines modernen interdisziplinären Gesamttherapiekonzeptes bei neurovaskulären Erkrankungen.

Als therapeutisches Teilgebiet der Neuroradiologie versteht man unter interventioneller Neuroradiologie die endovaskuläre Behandlung bei vaskulären und gefäßassoziierten Erkrankungen des zentralen Nervensystems und im Kopf-Hals-Bereich als minimal-invasives, bildgebungsgeleitetes Verfahren. Diese Technik ist eine Alternative zur offenen Operation und ersetzt heute in vielen Fällen den operativen Eingriff.

Mikrokatheter wird über die Leistenschlagader eingeführt

Bei der endovaskulären Behandlungsmethode wird meist in allgemeiner Intubationsnarkose die Schlagader in der Leistengegend punktiert. Von hier aus werden Mikrokatheter-Systeme, sogenannte Hirnkatheter, unter Durchleuchtungskontrolle und mittels Einsatz der digitalen Subtraktionsangiographie (DSA) an die pathologische Läsion herangeführt. Über diese Hirnkatheter können je nach Behandlungsziel und klinischer Fragestellung ablösbare Ballons, Metallspiralen, Kunststoffpartikel, Alkohol, Gewebekleber oder Stents appliziert werden.

Innerhalb des breiten Spektrums der interventionellen Neuroradiologie wird zwischen gefäßeröffnenden und gefäßverschließenden Verfahren unterschieden. Zu den gefäßeröffnenden Verfahren gehört die Rekanalisation von Gefäßverschlüssen der Hirnarterien im Rahmen des akuten Schlaganfalls.

Dies erfolgt entweder medikamentös, wobei durch den an den gefäßverlegenden Thrombus herangeführten Mikrokatheter ein fibrinolytisches Medikament injiziert wird, um so den Thrombus aufzulösen, oder der Thrombus wird mechanisch entfernt. Als neue, zukünftig vielversprechende Methode könnte auch in Kombination mit der medikamentösen Therapie die sofortige Stentimplantation zur Rekanalisation erfolgen.

Angioplastie wird seit 20 Jahren auch an der Karotis gemacht

Das Aufdehnen von Gefäßengstellen, die perkutane transvaskuläre Angioplastie (PTA), wird seit etwa 20 Jahren auch an der Karotis gemacht. Heute ist dieser Eingriff meist mit der Implantation eines Stents kombiniert.

Durch die Verbesserung des verwendeten Materials und der Technik konnte das kombinierte Risiko für Schlaganfall und Tod von 5,2 auf 1,6 Prozent mit zerebraler Protektion reduziert werden. Bei chirurgischen Risikopatienten ist nach publizierten Ergebnissen der Saphire-Studie die Stentbehandlung der offenen Operation vorzuziehen.

Derzeit wird die Stentimplantation sowohl außerhalb als auch innerhalb von Vergleichsstudien zunehmend gemacht, obschon der endovaskuläre Eingriff bis zum Vorliegen großer randomisierter Studien wie der Space-Studie nur innerhalb von Studien gemacht werden sollte.

Die Behandlung von intrakraniellen Stenosen des vorderen und hinteren Kreislaufs ist durch den Einsatz von koronaren Ballonkathetern und Stents möglich geworden. In jüngster Zeit scheint sich die Verwendung von selbst-expandierbaren Mikrostents als komplikationsärmeres Verfahren durchzusetzen.

Die Ergebnisse der Sylvia-Studie (ballonexpandierbare Stents wurden eingesetzt) waren hinsichtlich der Komplikations- und Offenheitsraten nicht vielversprechend, so daß die Behandlung intrakranieller Stenosen nur vereinzelt bei speziellen Indikationen gemacht wird. Die jüngsten Ergebnisse der WASID-Studie könnten zusammen mit den neu zur Verfügung stehenden selbstexpandierbaren intrakraniellen Stents in Zukunft zu einer breiteren Anwendung führen.

Die Indikation für gefäßverschließende Eingriffe (Embolisation) stellt sich erstens bei gefäßreichen Tumoren. Dabei werden präoperativ die Tumorgefäße verschlossen, um die nachfolgende Operation zu erleichtern oder zu ermöglichen, etwa bei Meningeomen. Zweitens können durch die Katheterembolisation Blutungen im Kopf-Hals-Bereich gestillt werden, nachdem konservative Maßnahmen erfolglos blieben oder eine operative Behandlung nicht zielführend erscheint.

Drittes Einsatzgebiet für gefäßverschließende Eingriffe sind arteriovenöse Gefäßmißbildungen und Aneurysmen. Bei diesen wird entweder durch die Embolisation allein oder in Kombination mit einem operativen oder radiochirurgischen Eingriff behandelt. Im Stromgebiet der A. carotis externa wird bei Meningeomen, Glomustumoren, juvenilen Nasen-Rachenangiofibromen, extrazerebrale Angiomen, Epistaxis und duralen arteriovenöse Gefäßmißbildungen behandelt.

Therapierefraktärer Tinnitus verschwindet nach Embolisation

Durale arteriovenöse Fisteln stellen pathologische Verbindungen zwischen Arterien und Venen im Bereich der Dura dar. Sie werden nach der venösen Blutleiter benannt, in deren Bereich sie lokalisiert sind. Ist die Fistel im Bereich des Sinus sigmoideus lokalisiert, so kommt es durch Fortleitung der abnormen Strömungsverhältnisse über benachbarte Innenohrstrukturen zu einem für den Patienten quälenden pulssynchronen Tinnitus.

Die endovaskuläre Okklusionsbehandlung der Fisteln mittels Kathetertechnik ist die Methode der Wahl. Der oft schon lang bestehende therapierefraktäre Tinnitus ist sofort nach der Embolisation vollständig verschwunden.

Im Stromgebiet der A. carotis interna und der A. vertebralis wird bei traumatischen Carotis-cavernosus-Fisteln, zerebralen arteriovenösen Gefäßmalformationen und intrakraniellen Aneurysmen behandelt.

Zur Behandlung bei zerebralen AV-Malformationen sind je nach Größe, Lokalisation, klinischer Symptomatik und Angiomorphologie drei Therapie-Arten möglich: Operation, Radiochirurgie (Gamma-Knife) und Embolisation. Die Embolisation erfolgt über Injektion eines schnell aushärtenden Gewebeklebers, der über den Mikrokatheter eingebracht wird und zum Verschluß des Nidus der AV-Malformation führt.

Außer der Behandlung bei extra- und intrakraniellen Stenosen der hirnversorgenden Arterien mittels Stent-PTA ist die endovaskuläre Behandlung bei Hirnarterien-Aneurysmen ein Schwerpunkt der interventionellen Neuroradiologie an der Universitäts-Klinik für Radiologie in Graz. Hirnarterien-Aneurysmen sind meist erworbene, sackförmige Ausstülpungen der Wand von Hirngefäßen aufgrund einer genetisch prädisponierten Wandschwäche.

Bei jedem Zweiten kann Ruptur eines Aneurysmas tödlich sein

Etwa zwei Prozent der Bevölkerung sind Träger von Aneurysmen, bei 15 Personen pro 100 000 Einwohner pro Jahr kommt es durch Ruptur der dünnen Aneurysmawand zu einer lebensgefährlichen Hirnblutung. Diese kann bei bis zu 50 Prozent tödlich verlaufen, bei bis zu 30 Prozent hinterläßt sie bleibende neurologische Schäden. Ein Aneurysma kann bei entsprechender Größe auch symptomatisch werden, ohne rupturiert zu sein.

Seit der Verbreitung von CT und MR werden heute auch asymptomatische Aneurysmen als Zufallsbefund immer häufiger entdeckt. Die klassische Behandlungsmethode war seit vielen Jahren die offene Operation, ein sogenanntes Klippen des Aneurysmas. Dabei wurde nach operativer Eröffnung des Schädels das Aneurysma aufgesucht und abgeklemmt.

Als alternative Behandlung bei solchen Aneurysmen hat sich seit über zehn Jahren die neurointerventionelle Methode mehr und mehr durchgesetzt. Große Studien haben sowohl bei nicht rupturierten Aneurysmen (International Study of unruptured intracranial aneurysms) als auch bei rupturierten Aneurysmen (International sub­arachnoid aneurysms trial) gezeigt, daß die endovaskuläre der operativen Methode vorzuziehen ist.

Das Ziel der endovaskulären Aneurysmenbehandlung ist, bei einem nicht rupturierten Aneurysma ein Blutungsrisiko auszuschalten und bei einem rupturierten eine Rezidivblutung zu verhindern. Dabei wird das Aneurysma mit einem Mikrokathetersystem sondiert, mittels Einbringung von feinsten Platindrähten ausgefüllt und damit verschlossen.

Die Verfügbarkeit von intrakraniellen Stents macht es heute möglich, bei früher nicht behandelbaren Patienten mit breitbasigen Aneurysmen erfolgreich zu therapieren. Durch den schonenden Eingriff und die effizienten Behandlungsergebnisse mit niedriger Komplikationsrate hat sich diese Behandlungsmethode etabliert.

Professor Günther Klein leitet die Klinische Abteilung für Vaskuläre und Interventionelle Radiologie der Universitätsklinik in Graz.

Der Artikel erschien zuerst in der "Ärzte Woche" am 8. 12. 2005.

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