Ist bei Bandscheiben-Vorfall eine Op oder konservative Therapie besser? Ganz einig sind sich Kollegen nicht

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Operieren oder konservativ behandeln? Täglich müssen Orthopäden diese Entscheidung für Patienten mit akuten, radikulären Rückenschmerzen und lumbalem Bandscheibenvorfall treffen. Eine US-Studie hat jetzt ergeben: Beide Therapien sind ähnlich erfolgreich. Doch leider ist das nicht die ganze Wahrheit.

Die Studie war generalstabsmäßig geplant, am Studiendesign hätten auch pingelige Statistiker wohl nichts auszusetzen. Dr. James N. Weinstein, Orthopäde und Herausgeber des bekannten Fachjournals "Spine", hat mit seinen Kollegen aus 11 US-Bundesstaaten nur Patienten mit radikulären Schmerzen und mit einem mittels MRT nachgewiesenen lumbalen Bandscheibenvorfall in die Studie aufgenommen. Außerdem mussten die Symptome zum MRT-Befund passen. Und die Beschwerden mussten trotz vorangegangener Therapieversuche seit mindestens sechs Wochen bestehen. Patienten aus diesem klar definierten Kollektiv sollten per Zufall der Operationsgruppe oder der konservativ zu behandelnden Gruppe zugeordnet werden.

Über die Hälfte der Teilnehmer ließen sich nicht randomisieren

Doch damit gingen die Schwierigkeiten schon los. Die meisten Patienten wollten es nicht dem Zufall überlassen, wie sie behandelt werden. Mehr als 700 von 1200 Patienten ließen sich nicht randomisieren. Von diesen 743 Patienten entschieden sich zwei Drittel für die Operation, ein Drittel für die konservative Therapie. Weinstein und seine Mitarbeiter machten daraus kurzerhand die SPORT*-Beobachtungsstudie (JAMA 296, 2006, 2451). Etwa 500 weitere Patienten ließen sich randomisieren und wurden je zur Hälfte den Behandlungsarmen zugeteilt. Aber: Die Hälfte der Patienten in der Op-Gruppe ließ sich dann doch lieber nicht operieren, und 30 Prozent der Patienten in der Konservativ-Gruppe verlangten nach der Operation (JAMA 296, 2006, 2441).

In der Beobachtungsstudie kamen signifikante Vorteile zu Gunsten der Operation heraus, wobei stets die klassische offene Diskektomie mit Darstellung der Nervenwurzel vorgenommen worden war. Damit nahmen die Schmerzen stärker ab als unter konservativer Therapie, die körperlichen Funktionen besserten sich deutlicher und der Grad der Behinderung war nach der Operation ebenfalls signifikant niedriger.

Im randomisierten Teil der SPORT*-Studie kamen dagegen in fast allen Punkteskalen zur Beurteilung des Therapieerfolges keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen heraus. Das Befinden der Patienten hatte sich in beiden Gruppen nach im Durchschnitt sechs Monaten deutlich verbessert und blieb bis zum Studienabschluss nach zwei Jahren nahezu unverändert.

Was aus diesen Ergebnissen folgt, hängt nun vom Blickwinkel ab. Befürworter der konservativen Therapie könnten argumentieren: Warum Patienten dem Operationsrisiko aussetzen, wenn nichtoperativ und in derselben Zeit ähnliche Effekte erzielt werden können? Zumal nicht klar ist, ob die Wirkungen der konservativen Therapie in der Studie womöglich unterschätzt worden sind. Denn diese Behandlung war individuell den jeweiligen Ärzten überlassen worden und daher sehr unterschiedlich.

Befürworter der Operation würden sagen, dass es weder durch die Operation noch durch die konservative Therapie wesentliche Komplikationen gab. Neun Prozent der Patienten in der Beobachtungsstudie waren innerhalb von zwei Jahren erneut operiert worden, meist wegen erneuter Bandscheiben-Herniationen im selben Zwischenwirbelraum.

Nach Studienbeginn wollten viele doch lieber eine Op

Man könnte auch argumentieren, die konservative Gruppe habe nur deswegen so gut abgeschnitten, weil so viele der Patienten dieser Gruppe in Wirklichkeit operiert worden sind. Andererseits, so Weinstein und seine Kollegen, sei ein gewisser Placebo-Effekt der Operationsprozedur nicht auszuschließen. Aus ethischen und praktischen Gründen waren keine Scheinoperationen vorgenommen worden, um Placebo-Effekte auszuschließen. Fasst man die Therapiewechsler in beiden Gruppen zusammen, tendiere die Daten-Verzerrung wohl gegen Null, meinen die US-Kollegen. Kann man also tatsächlich von einer gleichen Wertigkeit der Therapieansätze ausgehen?

Hier wird die Meinung des Patienten wichtig: Dessen Ansicht über die Erfolgschancen einer Therapie hat offenbar Auswirkungen auf den Therapieeffekt. So sei ein Grund, die Randomisierung für die Studie abzulehnen, gewesen, dass viele Patienten von vornherein die chirurgische Behandlung wollten. Man dürfe nicht vergessen, dass alle Studienteilnehmer bereits sechs Wochen erfolglos konservativ vorbehandelt waren, so Weinstein und Mitarbeiter. Diese Patienten nahmen an der Beobachtungsstudie teil, die dann tatsächlich zu Gunsten der Operation ausging.

*SPORT: Spine Patient Outcomes Research Trial



STICHWORT

Therapie bei Bandscheibenvorfall

Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie empfiehlt zur Behandlung bei Bandscheiben-bedingter Ischialgie ein Stufenschema. In Stufe 1 erfolgt die Beratung des Patienten sowie die Therapie mit Analgetika und/oder Antiphlogistika sowie Physiotherapie. Zusätzlich ist eine lokale Injektionsbehandlung möglich. Führt das nicht zum Erfolg, können in Stufe 2 epidurale Injektionen verabreicht werden, zusätzlich zur physikalischen Therapie und Krankengymnastik. Erst in Stufe 3 sollte operiert werden. Denn man geht davon aus, dass durch Rückbildung des Prolapses, Volumenabnahme oder Ausweichen der Nervenwurzel oft eine Spontanheilung erfolgt. Eine absolute Operationsindikation besteht nur beim Kaudasyndrom, die dringliche Indikation bei stark beeinträchtigenden oder zunehmenden Paresen. Die Prognose ist abhängig vom Ausmaß des Bandscheibenvorfalls, vom Ausmaß der neurologischen Schädigung sowie von der Persönlichkeit des Patienten. (ner)

Infos zur Bandscheibenbehandlung im Internet: www.leitlinien.net

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