HINTERGRUND

Kiefernekrose bei hochdosierter Bisphosphonat-Therapie: Die Genese ist vermutlich multifaktoriell

Ingrid KreutzVon Ingrid Kreutz Veröffentlicht:

Bei Krebskranken, besonders bei solchen mit Brustkrebs oder multiplem Myelom, ist sie längst eine etablierte Therapie: die hochdosierte Behandlung mit einem Bisphosphonat. Sie schützt Patienten mit Knochenmetastasen vor Komplikationen wie Frakturen und sogar vor den Metastasen selbst. Bei einigen wenigen Patienten werden unter einer solchen Therapie jedoch Osteonekrosen der Kiefer beobachtet.

Das bestätigen erste Daten des Deutschen Zentralregisters Kiefernekrosen in der Charité - Campus Benjamin Franklin in Berlin. "Ein kausaler Zusammenhang liegt nahe, aber wir haben bisher keinen Beweis", sagt Professor Dieter Felsenberg aus Berlin. Es handele sich aber vermutlich um ein multifaktorielles Problem.

Kiefernekrosen auch nach Strahlentherapie

Kiefernekrosen waren lange Zeit eine absolute Rarität. "Vereinzelt wurden sie etwa im Zusammenhang mit einer Strahlentherapie bei Krebspatienten beobachtet", hat Felsenberg, der das Kiefernekroseregister zusammen mit Kollegen koordiniert, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" gesagt.

Auch bei Krebskranken, die eine hochdosierte Bisphosphonat-Therapie erhalten, sei die Kiefernekrose ein seltenes Phänomen. Insgesamt werde sie aber seit der routinemäßigen Anwendung solcher Substanzen in den letzten zehn Jahren etwas häufiger diagnostiziert. Die Angaben zur Inzidenz liegen je nach Zentrum zwischen weniger als einem und fünf Prozent.

Register soll Klarheit über Inzidenz in Deutschland bringen

Um mehr Klarheit zu bekommen, wie häufig die Erkrankung in Deutschland ist, haben Felsenberg und seine Kollegen vor knapp zwei Jahren ein Zentralregister eingerichteten. Hier sollten bisher alle Verdachtsfälle einer Kiefernekrose gemeldet werden, die im Zusammenhang mit einer Bisphosphonat-Therapie bei Krebskranken diagnostiziert wurden. Künftig sollen auch Nekrosen gemeldet werden, die ohne Bisphosphonat-Therapie aufgetreten sind. Bisher sind knapp 400 Verdachtsfälle gemeldet worden.

Von diesen wurden bisher etwa 200 ausgewertet, das heißt, es wurde geprüft, ob die wesentlichen Kriterien für eine Kiefernekrose angegeben sind. Dazu gehört etwa eine über mehr als sechs Wochen anhaltende Wundheilungsstörung nach einer Zahnextraktion. Bei manchen Patienten seien Zahn- und Kieferprobleme von den behandelnden Zahnärzten voreilig als Kiefernekrose eingestuft und dann als solche gemeldet worden, sagte Felsenberg.

Wie viele Krebspatienten in Deutschland eine hoch dosierte Bisphosphonat-Therapie erhalten, ist nach Angaben des Berliner Osteologen noch unklar. Auch die Ätiopathogenese der Kiefernekrose ist noch ungeklärt. Es handelt sich aber vermutlich um ein multifaktorielles Geschehen. Felsenberg: "Wir haben Hinweise darauf, dass Kiefernekrosen dann entstehen, wenn zu einer hoch dosierten Bisphosphonat-Therapie weitere Faktoren hinzukommen wie eine Krebserkrankung oder Chemotherapien, die die Immunabwehr schwächen und eine starke antiangiogene Wirkung am Zahnfleisch haben."

Auch eine Kortisontherapie erhöhe das Risiko für Kiefernekrosen, weil sie die Immunabwehr reduziert und die Osteoblasten- und Osteozyten-Apoptose induziert. Auch Bisphosphonate selbst haben in höherer Dosierung nach präklinischen Studien eine antiangiogene Wirkung und reduzieren den Knochenstoffwechsel. Außerdem könnten sie die Aktivität der Makrophagen hemmen, so Felsenberg.

Erhöht sei das Risiko für eine Kiefernekrose daher vermutlich bei schlechter Mundhygiene und bei Krebskranken, die unter einer hoch dosierten Bisphosphonat-Therapie eine Zahnbehandlung, etwa eine Zahnextraktion oder intensive Parodontitisbehandlung, erhalten. Bei solchen Patienten sollte die Bisphosphonat-Therapie vorsichtshalber für sechs bis acht Wochen unterbrochen werden, um eine verzögerte Wundheilung zu vermeiden, empfiehlt der Berliner Kollege. Besser sei es, vor dem Start der Bisphosphonat-Therapie die Zähne zu sanieren.

Kein nennenswertes Risiko bei Osteoporose-Therapie

Nicht erforderlich ist eine solche Vorsichtsmaßnahme nach Angaben von Felsenberg jedoch bei Patienten, die wegen einer Osteoporose mit einem Bisphosphonat behandelt werden. Der Grund: Hier sei die Dosierung wesentlich geringer als bei Krebspatienten. In dem Berliner Register sind bisher vier Osteoporose-Patienten gemeldet, die unter einer Bisphosphonat-Therapie eine Kiefernekrose entwickelten. Felsenberg: "Wenn man bedenkt, dass in Deutschland etwa 780 000 Patienten wegen einer Osteoporose mit einem Bisphosphonat behandelt werden, ist das kein nennenswertes Risiko."

Antibiotika und Spülungen der Mundhöhle helfen

"Die Kiefernekrosen sind oft schwer wiegende, für die Patienten sehr belastende Erkrankungen", so Felsenberg. Die Symptome reichen von Zahnschmerzen über Abszesse und Fistelbildungen bis hin zu rezidivierenden und schlecht heilenden Zahnfleischgeschwüren.

Zur Therapie sind zunächst eine lokale und systemische Antibiotikatherapie sowie tägliche Spülungen der Mundhöhle mit Chlorhexidin indiziert. Weitere Maßnahmen sind die chirurgische Entfernung des Nekrosematerials und die lokale Deckung des Kieferknochens mit Schleimhaut.

Weitere Infos zu Bisphosphonaten und Krebs gibt es im Internet unter www.krebsgesellschaft.de; im Fachbereich Ärzte "Supportivtherapie" anklicken.



STICHWORT

Kiefernekrose-Register

Das Deutsche Zentralregister Kiefernekrosen in der Charité - Campus Benjamin Franklin in Berlin wurde vor etwa zwei Jahren eingerichtet. Hier sollen alle Verdachtsfälle einer Kiefernekrose gemeldet werden. Bisher wurden knapp 400 Verdachtsfälle dieser Art gemeldet. Sie traten nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit einer hoch dosierten Bisphosphonat-Therapie bei krebskranken Patienten auf. Professor Dieter Felsenberg, Leiter des Zentrums für Muskel- & Knochenforschung an der Charité - Campus Benjamin Franklin, koordiniert das zentrale Register gemeinsam mit Professor Bodo Hoffmeister, Kieferchirurg an der Charité, sowie vier weiteren Kollegen.

Die Erstellung und Pflege des Deutschen Kiefernekrose-Registers wird durch die Förderung einer gemeinnützigen Stiftung (Elsbeth Bonhoff Stiftung), durch die Unterstützung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und die Charité ermöglicht. (ikr)

Mehr zum Thema

Rezidivierte oder refraktäre akute myeloische Leukämie mit FLT3-Mutation

Vor und nach der Transplantation: zielgerichtet therapieren mit Gilteritinib

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken

Gesundheitsminister Lauterbach hat angekündigt, den Entwurf für die Klinikreform am 8. Mai im Kabinett beraten lassen zu wollen. 

© picture alliance / Geisler-Fotopress

Großes Reformpuzzle

So will Lauterbach den Krankenhaus-Sektor umbauen