Studie „What Worries the World“
„Klima-Angst“ und „Klima-Stress“ werden zur psychischen Belastung
Extreme Hitze belastet den Körper. Doch auch für die Psyche werden die Kapriolen bei Wetter und Klima zunehmend zur Herausforderung. Besonders junge Menschen zeigen im Bezug auf den Klimawandel hohe Stresswerte.
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Angststörungen werden mit der Klimakrise zunehmen, prophezeien Forschende. Ein Viertel der Studierenden, die an einer Studie teilgenommen haben, zeigen hohe Stresswerte im Bezug auf den Klimawandel.
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Bonn. Wochenlang kaum Regen, gelbes Laub schon im August, vertrocknete Flussbetten: Momentan sorgen sich viele Menschen verstärkt um die Natur. Forschende rechnen damit, dass „Klima-Angst“ und „Klima-Stress“ künftig zudem eine wachsende psychische Belastung darstellen werden.
In der aktuellen Studie „What Worries the World“ des Marktforschungsinstituts Ipsos landete der Klimawandel bei den größten Sorgen der Deutschen auf Platz 4 – hinter steigenden Preisen, Armut und sozialer Ungleichheit sowie Krieg und militärischen Konflikten. Im Juli bezeichneten 33 Prozent der Befragten das Thema „Umwelt/Klima/Energiewende“ laut der Plattform statista als das gegenwärtig zweitwichtigste Problem in Deutschland – nur der Bereich „Kosten/Löhne/Preise“ wurde häufiger genannt (37 Prozent).
„Psychosomatik in einer Schlüsselposition“
Ein Viertel der Studierenden, die an einer Studie des Psychosomatikers Christoph Nikendei teilgenommen haben, zeigen hohe Stresswerte im Bezug auf den Klimawandel. Angesichts neuer Hitzerekorde oder der Flut im Ahrtal im vergangenen Sommer sieht Nikendei die Psychosomatik in einer Schlüsselposition: Dies betreffe einerseits die Bewältigung von Trauma-Folgeerscheinungen. Andererseits könne aktives Handeln vielen Menschen helfen, denen die Veränderungen des Klimas zu schaffen machen.
Schon vor zwei Jahren stand das Thema auf der Tagesordnung des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Die Klimakrise rufe negative Gefühle hervor, erklärte Nikendei zu diesem Anlass: Angst und Verzweiflung, aber auch Schuld und Scham. Diese Gefühle könnten so unerträglich werden, dass sie aus dem Bewusstsein verbannt würden.
Dies müsse nicht bedeuten, den Klimawandel abzustreiten. „Auch umwelt- und naturbezogen eingestellte Menschen fahren mit dem Auto in die Stadt, weil es für sie bequemer ist, oder kaufen ein neues Smartphone, obwohl sich das alte reparieren ließe“, so Nikendei. Auch beruhigten Menschen ihr Gewissen mit vereinzelten Handlungen wie etwa dem Kauf von Biowaren – während sie zugleich Langstreckenflüge nutzten.
Rufe nach angemessenen Maßnahmen
Fachleute und Aktivisten beklagen, dass sowohl Regierungen und Institutionen als auch Einzelpersonen das Problem zwar erkennen, aber nicht angemessen handeln.
Der Mensch sei selbst ein Teil der Natur, betont Nikendei im Interview des Magazins der „Süddeutschen Zeitung“. Es sei ein natürliches Bedürfnis, „mit der Natur in Kontakt, eingebettet in sie zu sein“. Nicht umsonst werden Naturerlebnisse häufig in Achtsamkeits-Ratgebern empfohlen, nennen Menschen sie immer wieder als jene Momente, in denen sie zur Ruhe kommen und sich glücklich fühlen. Umgekehrt zeigen Studien, dass Menschen bei extremer Hitze aggressiver reagieren und es bei Temperatursprüngen zu mehr Suiziden kommt.
Problem: Die Veränderungen verlaufen eher schleichend
Warum ist eine gewisse „Nach mir die Sintflut“-Haltung dennoch so verbreitet? Aus psychologischer Sicht reagieren Menschen auf Gefahr, „wenn sie unmittelbar und konkret ist und direkte Auswirkungen auf uns hat“, erklärt Nikendei. Die Veränderungen in Klima und Umwelt verlaufen dagegen eher schleichend.
Der Wissenschaftler wirbt daher für eine veränderte Klimakommunikation. Schwierige Gefühle müssten offen angesprochen werden. Dabei seien Fachkräfte im Gesundheitswesen gefragt – auch deshalb, weil er damit rechnet, dass soziale Probleme und beispielsweise Angststörungen im Zusammenhang mit der Klimakrise zunehmen werden. (KNA)