Nach Bundestagsdebatte
Klinikseelsorger Nieswandt: Wunsch nach Sterbehilfe ist meist Hilfeschrei
Bonn. Der Wuppertaler katholische Klinikseelsorger Dr. Reiner Nieswandt beobachtet hinter Wünschen nach Sterbehilfe oft verzweifelte Hilfeschreie der Betroffenen. Als Kirchenvertreter dürfe man da nicht nur mit der reinen Lehre kommen und den Menschen sagen, dass eine Selbsttötung nicht erlaubt sei, sagte er am Wochenende dem Portal katholisch.de: „Ich bin nicht der Kirchenlehrer, ich kann da nicht doktrinär auftreten. Ich kann mit diesen Menschen die Situation nur aushalten und ihnen meine persönliche Überzeugung vermitteln, dass wir alle in der barmherzigen Hand Gottes gut aufgehoben sind – im Leben, im Sterben und im Tod.“
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In der aktuellen politischen Debatte könne die Kirche ihre Ablehnung des assistierten Suizids nur durch eine gute „Anderspraxis“ überzeugend vermitteln, fügte er hinzu. Etwa durch christliche Hospizvereine oder andere Gruppierungen, „die sich um Betroffene kümmern und damit verkünden, dass der Mensch für die Kirche eben nicht auf ein autonomes, konsumierendes Subjekt reduziert wird, was nach Nützlichkeitserwägungen leben darf oder sterben soll.“
Nur so könne die Kirche hier glaubwürdig agieren, ergänzte Nieswandt: „Die Haltung aus einer doktrinären Autorität heraus nimmt uns keiner mehr ab, weil wir diese Autorität aus bekannten Gründen mehrfach verspielt haben.“
Suizidwunsch wie Ohnmachtserfahrung
Als Seelsorger mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid konfrontiert zu werden, führe zunächst zu einer Ohnmachtserfahrung, erzählte der Priester weiter. Diese gelte es, „so gut wie möglich gemeinsam auszuhalten, auch mit den Angehörigen und den Pflegekräften.“ Für ihn selbst sei eine Assistenz oder ein Dabeisein bei einer Selbsttötung nicht denkbar, wohl aber eine Begleitung davor: „Ein Dableiben im Moment des Suizids würde vermutlich als moralische Unterstützung interpretiert – und die kann ich nicht leisten.“
Zum Hinweis, dass Menschen, die Sterbehilfe wünschen, nach kirchlicher Lehre keine Sakramente wie die Krankensalbung empfangen dürften, sagte der Seelsorger: „Die Krankensalbung ist ein Sakrament des Trostes.“ Hier gehe es um die Versöhnung mit sich, mit Gott, mit den Mitmenschen und mit dem eigenen Leben: „Das würde ich einem Menschen nicht vorenthalten wollen.“
Er würde keinem Betroffenen die Sakramente verweigern und auch nicht die kirchliche Bestattung: „Das kommt für mich überhaupt nicht in Frage, wenn der betreffende Mensch oder dessen Angehörige darum bitten. Ich habe schon Menschen kirchlich beerdigt, die sich das Leben genommen haben, auch solche, die ich gut gekannt habe. Das war für mich nie eine Frage, diesen Dienst zu vollziehen. Aber auch hier gilt: Wenn man das tut, bedeutet das nicht, dass man die Handlung gutheißt.“ (KNA)