Kindheitstraumata

Lebenslange Bürde für die Gesundheit

Wer als Kind besonders belastende Situationen erlebt, spürt Folgen oft noch im Erwachsenenalter. Das belegt eine umfangreiche Studie.

Veröffentlicht:

TOULOUSE. Besonders belastende Erlebnisse in der Kindheit können erhebliche Folgen auf die Gesundheit und Lebensumstände noch im Erwachsenenalter haben.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des französischen Nationalen Instituts für Gesundheit und medizinische Forschung INSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale) (PNAS 2015, online 2. Februar).

Forscher um die Medizinerin Cristina Barboza Solis untersuchten den Zusammenhang zwischen negativen Kindheitserfahrungen (adverse childhood experiences, kurz: ACE) und der sogenannten allostatischen Last (AL).

Unter AL werden die Folgen aller Belastungen beziehungsweise stressauslösenden Faktoren verstanden, die ein Mensch im Leben erfährt und die sich etwa als chronischer Stress zeigen.

Probanden wurden 1958 geboren

Die Wissenschaftler nutzten für ihre Analyse die Daten der britischen "National Child Development Study", in der 7535 Menschen im Langzeitverlauf erfasst sind, die 1958 in Großbritannien geboren wurden.

Sie konzentrierten sich auf jene Teilnehmer, die im Alter zwischen 7 und 16 Jahren mehr als zwei belastende Ereignisse im familiären Umfeld erlebten.

Dazu gehören etwa vernachlässigte Kinder und solche, bei denen ein Elternteil Alkoholiker oder inhaftiert ist, aber auch Mädchen und Jungen, deren Eltern sich trennten oder bei denen ein Elternteil an einer seelischen Erkrankung litt.

Die biomedizinischen Daten dieser Gruppe ergab im Alter von 44 Jahren eine hohe AL. Um herauszufinden, welche Faktoren diese Last herbeiführten, untersuchten die Autoren das Gesundheitsverhalten der Studienteilnehmer, ihren Body Mass Index (BMI) und ihren sozioökonomischen Status mit 23 und 33 Jahren.

Das Ergebnis: Bei Männern hingen 59 Prozent der erhöhten AL mit ungesundem Verhalten, einem geringen Bildungsgrad und einem niedrigen materiellen Status zusammen. Bei Frauen waren 76 Prozent der erhöhten AL mit Rauchen, Übergewicht, einem geringen Bildungsgrad und geringem Einkommen assoziiert.

Großer Schritt nach vorn

Die Forscher schließen daraus, dass schwerwiegende negative psychosoziale Kindheitserfahrungen die Gesundheit wahrscheinlich langfristig auf verschiedenen Wegen beeinträchtigen.

Dazu heißt es in der Studie: "Gruppen, die negative Kindheitserfahrungen erlebten, können die Kosten dafür ihr ganzes Leben tragen, was sich in ihrer physiologischen Abnutzung im Erwachsenenalter zeigt."

Für Harald Gündel, den ärztlichen Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, ist die Studie wissenschaftlich und methodisch ein großer Schritt nach vorn.

In der Kindheit "werden viele biologische Regelkreise und Prozesse geprägt, die Folgen für die lebenslange Gesundheit haben", so Gündel, der auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie ist.

Frühere Studien hätten in die selbe Richtung gedeutet, allerdings nicht mit dieser Qualität. "Die Untersuchungen auf verschiedenen Ebenen zeigten, dass frühe traumatische Erlebnisse im wahrsten Sinne des Wortes "unter die Haut gehen und biologische Folgen haben, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung", erklärte Gündel. (dpa)

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 06.02.201513:47 Uhr

"Ein Schritt nach vorn" ist immer der Blick in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit!

Der Mensch lernt sein Leben lang,
und Determinismus gibt es noch nicht einmal in der Physik (Wettervorhersage).

Claus F. Dieterle 05.02.201523:37 Uhr

Vergeben

In der Psychotherapie kann ich immer wieder erfahren, wie negative Erlebnisse von Patienten auch in der Kindheit durch Vergebung zu einer Befreiung von Bitterkeit führen.

Geht nachsichtig miteinander um und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Genauso, wie der Herr euch vergeben hat, sollt auch ihr einander vergeben.
Kolosser 3,13

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