Neue Ansätze

Lipide – Therapien jenseits der Statine

Lipidtherapie endet nicht mit den Statinen. Als potenzielle Zusatztherapie sind PCSK9-Hemmer auf einem guten Weg. Selbst die CETP-Hemmung gibt wieder ein Lebenszeichen. Und in ferner Zukunft könnte das Cholesterin womöglich sogar per Impfung gesenkt werden.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Artherosklerose; für den LDL-Wert gilt weiter die Devise „the lower the better“.

Artherosklerose; für den LDL-Wert gilt weiter die Devise „the lower the better“.

© pixologicstudio / Getty Images / iStock

Die Senkung des LDL-Cholesterins ist wesentlicher Bestandteil der Sekundärprävention bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen. Eine dadurch erzielte Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse ist in vielen Studien mit Statinen konsistent dokumentiert worden. Mit der IMPROVE-IT-Studie ist ein entsprechender Nachweis erstmals auch für ein Nichtstatin – nämlich Ezetimib – erbracht worden.

Attacke gegen "Cholesterinlüge"

Mit einem jüngst veröffentlichten Konsensuspapier wollen Experten der Europäischen Arteriosklerose-Gesellschaft (EAS) Zweifel an der kausalen Rolle des Cholesterins an der Arteriosklerose-Entstehung – Stichwort: "Cholesterinlüge" – ein für alle Mal ausräumen.

Sie verweisen dabei unter anderem auf eine Datenlage von bestechender Konsistenz: "Über 200 Studien mit mehr als zwei Millionen Teilnehmern, über 20 Millionen Personenjahren sowie mehr als 150.000 kardiovaskuläre Ereignissen belegen übereinstimmend eine dosisabhängige, lineare Assoziation zwischen dem absoluten Ausmaß einer LDL-Exposition und der Höhe des Arteriosklerose-Risikos", heißt es in dem Papier.

Bisher konnte keine untere LDL-Grenze ausgelotet werden, ab der eine Cholesterinsenkung nicht mehr in eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignissen mündet. Die Devise "the lower the better" hat also Bestand. Auch die wohl wichtigste Studie zur Lipidsenkung aus jüngster Zeit – nämlich FOURIER – bestätigt dies erneut.

Erfolg mit PCSK9-Hemmer

In dieser im März 2017 vorgestellten Studie, an der rund 27.500 Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen teilnahmen, sind die LDL-C-Werte durch den PCSK9-Hemmer Evolocumab im Median von 92 mg/dl auf den bislang unerreicht niedrigen Wert von 30 mg/dl gesenkt worden. Diese massive LDL-Senkung war mit einer signifikanten relativen Reduktion der Rate für den primären Endpunkt (kardiovaskulär bedingter Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Klinikeinweisung wegen instabiler Angina pectoris, Revaskularisation) um 15 Prozent assoziiert (9,8 vs. 11,3 Prozent). Die Rate für einen "härteren" sekundären Endpunkt (kardiovaskulär bedingter Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall) wurde durch Evolocumab um 20 Prozent reduziert (5,9 vs. 7,4 Prozent).

Der Unterschied beruht primär auf einer Abnahme von nicht tödlichen Herzinfarkten und Schlaganfällen; die kardiovaskuläre Mortalität wurde nicht signifikant beeinflusst. Dies könnte damit zu tun haben, dass die mediane Studiendauer in FOURIER mit 2,2 Jahren vergleichsweise kurz war. Es gab aber einen klaren Trend: Mit zunehmender Studiendauer drifteten die Kurven für die Ereignisraten in der Evolocumab- und Placebo-Gruppe immer weiter auseinander.

Für 2018 werden die Ergebnisse der großen ODYSSEY-OUTCOME-Studie mit einem weiteren PCSK9-Hemmer – nämlich Alirocumab - erwartet. Vermutlich wird die Beobachtungsdauer in dieser Studie, an der rund 18.000 Patienten mit akutem Koronarsyndrom teilnehmen, länger als in FOURIER sein. Man darf gespannt sein, ob dies Auswirkungen auf die Ergebnisse haben wird.

Die Entdeckung des Proteins PCSK9 (Proproteinkonvertase Subtilisin / Kexin Typ 9), einem Enzym in der Leber, das die LDL-Rezeptormenge auf der Oberfläche von Leberzellen reguliert, hat nicht nur zur Entwicklung der monoklonalen Antikörper Alirocumab und Evolocumab als innovative Lipidsenker geführt.

Reichen zwei Injektionen pro Jahr?

Die auf PCSK9 fokussierte Lipidforschung hat mittlerweile schon wieder ein neues Konzept entwickelt: die PCSK9-Synthese-Hemmung durch RNA-Interferenz. Bei diesem Wirkansatz, mit dem das Gen für PCSK9 ausgeschaltet werden soll, würde sich eine Hemmung von PCSK9 mit Hemmern wie Evolucumab oder Alirocumab erübrigen, da das Enzym gar nicht erst produziert wird. Der Mechanismus der small interfering RNA (siRNA) ALN-PCSsc basiert auf RNA-Interferenz): Durch ALN-PCSsc (Inclisiran) wird die mRNA für PCSK9 an der Translation zur Proteinsynthese gehindert, die PCSK9-Synthese wird also quasi abgeschaltet.

Jüngst vorgestellte Ergebnisse einer Phase-II-Studie (ORION-1) bei 497 Patienten sprechen dafür, dass der neue Therapieansatz funktioniert. So führte die Behandlung mit Inclisiran zu einer anhaltenden Reduktion der PCSK9-Konzentrationen, die dosisabhängig mit einer dauerhaften Senkung der LDL-Spiegel um bis zu 57 Prozent einherging. Experten sehen das Potenzial von Inclisiran, mit nur zwei oder drei Injektionen pro Jahr eine dauerhafte Reduktion des LDL-Cholesterins zu erzielen, durch die Ergebnisse bestätigt. Ob daraus eine Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen resultiert, muss noch bewiesen werden.

Neue Studiendaten zur Inclisiran-Therapie werden beim europäischen Kardiologenkongress (ESC-Kongress) Ende August in Barcelona erwartet. Dort wird mit REVEAL auch eine Mega-Studie zur Lipidtherapie vorgestellt, die aktuell für eine große Überraschung gesorgt hat. In der Studie ist der CETP-Hemmer Anacetrapib bei rund 30.000 Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko mit Placebo verglichen worden.

Renaissance der CETP-Hemmung?

CETP-Hemmer… da war doch was? Genau! Mit dem Wirkprinzip der CETP-Hemmung verbanden sich anfänglich hohe Erwartungen. Das Protein CETP (Cholesterinester-Transferprotein ist an zentraler Stelle an der Regulierung des Lipid- und Cholesterinmetabolismus mitbeteiligt. Die Hoffnung war, durch CETP-Hemmung vor allem die Bildung des vermeintlich "guten" HDL-Cholesterins als Schutzfaktor gegen Herzinfarkt und Schlaganfall ankurbeln zu können.

Was folgte, war eine Serie von Enttäuschungen. Nach drei fehlgeschlagenen klinischen Endpunktstudien mit drei Substanzen (Torcetrapib, Dalcetrapib, Evacetrapib) hatten viele die CETP-Hemmung als tauglichen Ansatz in der Lipidtherapie bereits abgeschrieben.

Doch nun die Überraschung: Ende Juni ließ der Studiensponsor verlauten, dass die REVEAL-Studie mit Blick auf den primären Endpunkt ihr Ziel erreicht hat. Das bedeutet, dass Anacetrapib als letzter klinisch erforschter CETP-Hemmer die Rate für kombinierte Koronarereignisse (koronar verursachter Tod, Myokardinfarkt und koronare Revaskularisation) im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert. Mehr wurde zunächst nicht verraten. Was dieser Erfolg mit Blick auf die Praxis wert ist, muss sich erst noch zeigen.

Impfung gegen Atherosklerose

Wird es eines Tages sogar möglich sein, sich gegen Atherosklerose impfen zu lassen? Nach experimentellen Befunden von Wissenschaftlern aus Österreich und den Niederlanden scheint diese Vorstellung gar nicht mehr so abwegig zu sein. Sie haben es nämlich geschafft, mit einem gegen Proprotein Convertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) gerichtete Vakzinierung eine wirksame Immunantwort im Mausmodell zu erzeugen.

Als Folge der Impfung gingen die Plasmalipid-Spiegel der Mäuse drastisch zurück, Entzündungsprozesse und die atherosklerotische Plaquebildung nahmen ab. Der als AT04A bezeichnete Impfstoff wird bereits in einer ersten klinischen Phase-1-Studie getestet.

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