Narkolepsie - ein Gefühl wie nach 32 Stunden ohne Schlaf

Sie werden als Faulpelze und Simulanten stigmatisiert, sozial ausgegrenzt, ihnen werden psychische Erkrankungen oder Epilepsie angedichtet. Menschen mit Narkolepsie gelten weithin als Rarität. Dabei kommt die Erkrankung mit anfallsartigen Schlaf- und Lähmungsattacken etwa genau so häufig vor wie Multiple Sklerose.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Auf 100 000 Menschen kommen in Europa etwa 30 bis 40 Menschen mit Narkolepsie. Doch oft vergehen Jahre, bis die richtige Diagnose feststeht. Die Gründe dafür: Symptome wie exzessive Tagesschläfrigkeit kommen auch bei Patienten mit anderen Krankheiten, etwa Schlafapnoe, häufig vor, und das einzige spezifische Symptom, die Kataplexie, also ein plötzlicher Tonusverlust der Muskulatur, wird häufig als Epilepsie fehlgedeutet. Wie kann man also Patienten mit Narkolepsie gut erkennen?

Narkolepsie beginnt meist im Alter von 20 bis 30 Jahren

Die exzessive Tagesschläfrigkeit ist meist das erste Symptom der Krankheit, die üblicherweise im Alter von 20 bis 30 Jahren beginnt. Die Patienten haben das Gefühl, ständig müde zu sein und haben einen unwiderstehlichen Schlafdrang. Die Müdigkeit sei etwa mit der eines gesunden Menschen vergleichbar, der 32 Stunden lang nicht mehr geschlafen hat, so Dr. Ramin Khatami und Professor Claudio Bassetti vom Universitätsspital Zürich (SAR 3, 2005, 16).

Die Schlafattacken dauern meist nur 20 Minuten und können plötzlich im Gespräch, beim Essen, im Stehen oder sogar im Gehen auftreten. Anschließend fühlen sich die Patienten erholt, nach ein bis zwei Stunden können sie jedoch wieder ermüden.

    Kontrollierte Nickerchen helfen tagsüber gegen die Müdigkeit.
   

Wesentlich kürzer als Schlafattacken dauern Kataplexien - meist weniger als eine Minute. Dabei kommt es zu einem Tonusverlust der quergestreiften Muskulatur. Den Patienten knicken die Knie ein oder der Kopf fällt auf den Tisch. Es kann auch zu einem Sturz kommen, bei dem die Patienten regungslos liegenbleiben, Die Verletzungsgefahr ist dann erheblich. Die Patienten sind bei vollem Bewußtsein, können sich aber nicht bewegen.

Kataplektische Anfälle werden daher oft als Epilepsie mißgedeutet. Im Gegensatz zur Epilepsie kommt es jedoch zu keinen Krämpfen. Ausgelöst werden Kataplexien durch Emotionen wie Lachen, Ärger oder die bloße Erinnerung an bewegende Geschehnisse. Setzen Patienten Narkolepsie-Medikamente abrupt ab, kann es auch zu Kataplexie-Episoden kommen, die länger als 30 Minuten dauern (Status cataplecticus), berichten Khatami und Bassetti.

Kataplexien treten spezifisch bei Narkolepsie auf. Berichten Patienten über solche Episoden, stehe die Diagnose Narkolepsie fest, so der Neurologe Professor Michel Billiard aus Montpellier in Frankreich.

Die Patienten wachen nachts häufig auf

Patienten mit Narkolepsie schlafen zwar nachts problemlos ein, wachen dann aber häufig auf und sind dann so wach wie tagsüber. Diese nächtlichen Wachphasen sind für die Patienten oft ähnlich belastend wie tagsüber die Schlafattacken.

Beim Einschlafen und Aufwachen kann es auch zur Schlafparalyse kommen: Die Lähmung betrifft fast den ganzen Körper und dauert wesentlich länger als eine Kataplexie - bis zu zehn Minuten. Dabei kommen auch Halluzinationen vor - meist traumähnliche Bilder und Vorstellungen. Sie lösen oft Angst aus, da die Patienten halb wach sind, sich aber nicht bewegen und nicht sprechen können. Die Schlaflähmung kann durch körperliche Berührung unterbrochen werden.

Die Ursachen der Narkolepsie sind weitgehend unklar. Fest steht, daß es sich um einen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus handelt. Der fehlende Muskeltonus beim kataplektischen Anfall oder bei Schlaflähmung ähnelt dem Verlust des Muskeltonus in der REM-Schlafphase.

Es scheint einen genetischen Aspekt zu geben, da Narkolepsie zum Teil familiär gehäuft auftritt. Erst vor wenigen Jahren sei ein Mangel des Neuropeptids Hypocretin im Liquor nachgewiesen worden, so Dr. Sebastian Overeem aus Nijmegen in den Niederlanden bei einem Schlafkongreß in Berlin.

Die Behandlung bei Narkolepsie ist derzeit rein symptomatisch. Gegen die Tagesschläfrigkeit können kontrollierte Nickerchen helfen, etwa vor Prüfungen oder vor einer Autofahrt. Danach sind die Patienten einige Stunden wach. Derzeit sei Modafinil (Vigil®) Mittel der ersten Wahl, so Bassetti.

In Studien wurde damit die Schlaflatenz, also die Zeit zwischen Einschlafneigung und Schlafbeginn, mehr als verdreifacht. Allerdings spricht etwa ein Drittel der Patienten auf die Behandlung nicht an. Eine Alternative ist die Therapie mit Methylphenidat oder Dextroamphetamin.

Gegen die Kataplexie sind trizyklische Antidepressiva gebräuchlich, kontrollierten Studien dazu liegen jedoch nicht vor. Auch neuere Antidepressiva wie SSRI werden verwendet. Kürzlich zugelassen bei Kataplexie wurde Natriumoxybat (Xyrem®). Chemisch handelt es sich dabei um Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB).

Das Mittel reduziert die Zahl kataplektischer Anfälle um bis zu 60 Prozent und reduziert die nächtlichen Aufwachepisoden. Zugleich konnten Einschlafattacken damit deutlich reduziert werden, und zwar mit Natriumoxybat allein oder in Kombination mit Modafinil.

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