Naturmedizinische Ausbildung hinkt hinterher

Naturmedizinische Angebote sowie Phytopharmaka sind in - zumindest bei Patienten. In der medizinischen Ausbildung an den Universitäten führt die Naturmedizin jedoch weiterhin ein Schattendasein. Wie lange noch?

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Eine Studie zeigt: Patienten schwören auf die Kraft der Natur.

Eine Studie zeigt: Patienten schwören auf die Kraft der Natur.

© Floydine/shutterstock

NEU-ISENBURG. Bei Angebot und Nachfrage im Bereich der Naturmedizin klafft in Deutschland noch eine große Lücke. So schwören zwar zwei Drittel aller Menschen in Deutschland auf den Einsatz von Naturheilmitteln.

Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie "Naturmedizin 2012" des Phytopharmakaanbieters Pascoe. Auf der universitären Seite spiegele sich diese Nachfrage in der naturmedizinischen Ausbildung der Nachwuchsärzte aber nicht wider.

So gebe es derzeit an den deutschlandweit 36 medizinischen Fakultäten 2998 Professuren. Aber lediglich zehn dieser Professuren - und das auch nur an sechs medizinischen Fakultäten - unterrichteten im naturheilkundlichen und komplementärmedizinischen Bereich, heißt es.

Genauer sieht die Verteilung der Professuren wie folgt aus: Berlin drei, Bochum eine, Duisburg-Essen eine, München eine, Rostock eine und Witten/Herdecke drei.

Angebot verfünffachte sich innerhalb von zehn Jahren

Blickt man zurück in das Jahr 2002, so lässt sich trotz des spärlich anmutenden Angebotes von gegenwärtig zehn Professuren eine rasante Dynamik feststellen. Denn vor zehn Jahren gab es gerade einmal zwei davon in Berlin und Ulm. Dies ergab damals die ebenfalls von Pascoe initiierte Vorläuferstudie "Naturmedizin 2002 - Ausbildungssituation an deutschen Hochschulen".

Wie die Autoren der aktuellen Untersuchung hervorheben, beflügelte die am 1. Oktober 2003 in Kraft getretene neunte Revision der Approbationsordnung für Ärzte die Naturmedizin in Deutschland. Sie führte den damals neuen obligatorischen Querschnittsbereich "Rehabilitation, Physikalische Medizin und Naturheilverfahren" (QB 12) sowie die Möglichkeit, Wahlfächer anzubieten, ein.

Daraufhin hätten zwar einige Fachgesellschaften und die Universitäten entsprechende Empfehlungen sowie Ausbildungskonzepte erarbeitet. Dennoch gebe es bis heute noch keine bundeseinheitlichen Curriculae, genössen die Universitäten somit einen gewissen Gestaltungsfreiraum in der naturmedizinischen Lehre.

Im Medizinstudium würden daher als Auswirkung der fehlenden Vorgaben teilweise nur physikalische Verfahren der Naturheilkunde angeboten. Zum Teil seien es auch Verfahren der "Besonderen Therapierichtungen", wie zum Beispiel Homöopathie, Phytotherapie oder Anthroposophische Medizin, sowie weitere Verfahren der Komplementärmedizin.

Stellvertretend für letztere stehen die Osteopathie, Traditionelle Chinesische Medizin und Akupunktur. Wie die Studienautoren kritisch anmerken, fehle bisher eine repräsentative Übersicht über alle wesentlichen, von Ärzten in Praxis und Klinik angebotenen Verfahren.

Harmonisierung und Weiterentwicklung der Lehrangebote

Dass sich an dieser Situation kurzfristig etwas ändern wird, damit rechnen die Verfasser nicht. Denn: Form und Inhalte der Lehrveranstaltungen der Querschnittsbereiche an den verschiedenen Universitäten seien sehr heterogen.

Erschwerend käme hinzu, dass den Unis das notwendige Geld für eine adäquate Vergütung des Lehrpersonals fehle. Eine Harmonisierung und Weiterentwicklung der Lehrangebote liege damit noch in weiter Ferne.

Diese könne aber nur durch "eine gemeinsame Willensbildung der Vertreter dieser Gebiete und durch entsprechende finanzielle sowie personelle Aufstockung erreicht werden", folgern die Studienautoren.

Um angehenden Ärzten, die später naturmedizinische Verfahren in der Praxis anbieten wollen, eine geeignetere Ausbildungsplattform zu bieten, plädieren die Studienautoren für eine "fachkompetente Koordination der QB-12-Bereiche Rehabilita tion, Physikalische Medizin und Naturheilverfahren", eine Harmonisierung des Lehrangebots, die Lehrstoffvermittlung mittels moderner didaktischer Methoden inklusive verstärkten Praxisbezuges sowie der "Schaffung eines vergleichbar breiten inhaltlichen Spektrums zwischen den Universitäten".

Darüber hinaus appellieren sie an die Unis, zusätzlich Wahlpflichtfächer im Bereich Naturheilkunde und Komplementärmedizin anzubieten und diese auch zu finanzieren.

USA dienen als Vorbild für die Forschungsförderung

Untermauert wird der Ruf nach einem stärkeren Engagement in der Naturmedizin in der Studie mit einem Hinweis auf deren Stellenwert in den USA.

Dort sei die Forschungsförderung zur Komplementärmedizin (Complementary and Alternative Medicine/CAM) von staatlicher Seite bereits seit Jahren fest etabliert. Zudem habe die Lehre Einzug in die Universitäten des Landes gehalten. An nahezu allen 125 medizinischen Hochschulen in den USA sei CAM fester Bestandteil des Lehrplans.

Zudem vergebe das National Center of Complementary and Alternative Medicine (NCCAM), eine Abteilung des National Institute of Health, jährlich Forschungsgelder. Für das Jahr 2010 hätten sich diese auf 120 Millionen US-Dollar belaufen.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe den Stellenwert der Komplementärmedizin sowie traditioneller Medizinsysteme erkannt und in einer Resolution akzentuiert.

Während in Ländern wie China oder Indien Lehre und Forschung zu den traditionellen Naturheilverfahren staatlich unterstützt würden, fehle es in Deutschland - dem "Land der Naturmedizin" - noch immer nahezu jede staatliche Förderung. Auch von einer breiten wissenschaftlichen Akzeptanz naturmedizinischer Verfahren sei Deutschland noch weit entfernt, bedauern die Studienautoren.

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