Adipositas

Neue Arzneien sollen Diabetes stoppen

Lassen sich metabolische Effekte der Adipositas-Chirurgie mit Medikamenten nachbilden? Wissenschaftler im Grenzgebiet zwischen Adipositas- und Diabetesforschung versuchen es. Ihre Vision ist eine personalisierte Präzisionsstoffwechselmedizin.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

BERLIN. "Fettleibigkeit treibt den Diabetes voran", betont Professor Matthias Tschöp. Beim Paul-Martini-Symposium in Berlin malte der Direktor Diabetes mellitus am Helmholtz Zentrum in München die Zukunft trotzdem nicht in düsteren Farben. "In 50 oder vielleicht sogar 20 Jahren wird es die Diabetesepidemie hoffentlich nicht mehr geben", so Tschöp. Das Zauberwort, das ihn zu dieser erstaunlichen Prognose führt, lautet "personalisierte Präzisionsstoffwechselmedizin".

Hinter diesem Wortungetüm verbirgt sich die Anwendung von Kombinationstherapien und Multi-Target-Molekülen, die den Fett- und Zuckerstoffwechsel an unterschiedlichen Stellen simultan und molekular gezielt beeinflussen. Eine solche "multimodale" Wirkung erklärt, so die These von Stoffwechselforschern wie Tschöp, auch die erstaunlichen metabolischen Erfolge der Adipositaschirurgie:

"Operierte Adipositaspatienten mit Diabetes können oft schon bevor sie Gewicht verlieren das Insulin weglegen", so Tschöp. Dies spreche dafür, dass der Umbau des Magen-Darm-Trakts unabhängig von der Gewichtsabnahme vielfältige metabolisch günstige Effekte habe.

Chirurgie effektiver

So führt ein Magenbypass zu einem deutlichen Anstieg des Hormons Glukagon-like Peptide 1 (GLP-1). Medikamentös applizierte GLP-1-Analoga sind aber längst nicht so effektiv wie die Chirurgie. Wesentlich effektiver könnten Medikamente sein, die sowohl am GLP-1- als auch am Glukagon-Rezeptor agonistisch wirken: Neben GLP-1 steigt nämlich auch Glukagon nach dem Magen-Bypass deutlich an.

In unterschiedlichen Tiermodellen hatten solche kombinierten Agonisten durchschlagende Effekte: "Wir messen massive Verbesserungen beim Körpergewicht", so Tschöp. Aufbauend darauf werden rund ein Dutzend GLP-1-/Glukagon-Agonisten in klinischen Studien geprüft.

Allerdings: Beim Menschen scheinen einige dieser "Kandidatenkombinationen" dann doch nicht so viel zu bewirken, wie erhofft. Tschöp denkt deswegen weiter. Einer seiner aktuellen Hoffnungsträger sind sogenannte Tri-Agonisten, die auch noch den GIP-Rezeptor stimulieren. In Tiermodellen wirken sie stärker als Medikamente ohne die GIP-agonistische Komponente. Auch mit Triagonisten haben klinische Studien mittlerweile begonnen. Und es soll weitergehen.

Hybride Moleküle

So könnten mit Steroidhormonen, die auch GLP-1-Agonisten sind, gezielt relevante Organe angesteuert und Nebenwirkungen minimiert werden. Auch Kombimoleküle mit sowohl Glukagon- als auch Schilddrüsenhormonwirkung hält Tschöp für vielversprechend. Zusammen mit Kollegen baut er derzeit auf chemischem Weg Hybridmoleküle aus Glukagon und T3, mit denen sich gezielt Organe mit Glukagonrezeptoren ansteuern lassen, etwa die Leber.

In Mäusen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass solche Moleküle günstig in den Cholesterin- und Fettstoffwechsel der Leber eingreifen. Gleichzeitig verringert das T3 die diabetogenen Effekte des Glukagons, und umgekehrt können durch die Zielsteuerung via Glukagonrezeptor unerwünschte kardiovaskuläre Effekte des T3 verhindert werden (Cell 2016. 167: 843).

"Das Ziel ist letztlich ein Portfolio von Medikamenten, die unterschiedliche Stoffwechselorgane ansteuern und gleichzeitig Nebenwirkungen vermeiden", umschreibt Tschöp seine Vision der Stoffwechselmedizin.

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