Neuroendokrine Tumoren werden oft erst spät erkannt

Die Prognose von Patienten mit neuroendokrinen Tumoren und Karzinomen des gastro-entero-pankreatischen Systems hängt von der Differenzierung des Tumors und dem Metastasierungsgrad ab. Heilung ist nur durch eine frühzeitige Operation möglich. Bei fortgeschrittener Erkrankung wird mit Biotherapeutika versucht, die Progression der Erkrankung zu hemmen und die Überlebenszeit zu verlängern.

Veröffentlicht:

Bertram Wiedenmann

Neuroendokrine Tumoren des gastro-entero-pankreatischen Systems sind im Vergleich zu anderen Krebserkrankungen selten. In Deutschland sind schätzungsweise 1000 Patienten an metastasierten Tumoren / Karzinomen erkrankt. Die Zahl der Patienten mit nicht-metastasierenden neuroendokrinen Tumoren liegt um ein Vielfaches höher.

Exakte epidemiologische Daten existieren hierzu in Deutschland nicht. Die jährliche Neuerkrankungsrate beträgt - auf der Grundlage epidemiologischer Daten aus Skandinavien, den Niederlanden und aus den USA - bei neuroendokrinen Tumoren / Karzinomen etwa 2000 Patienten pro Jahr.

Nach der mittlerweile weltweit gültigen Einteilung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden neuroendokrine Tumoren des gastro-entero-pankreatischen Systems prinzipiell in neuroendokrine Tumoren und Karzinome unterteilt. Danach sind neuroendokrine Tumoren gut differenziert und haben eine niedrige Wachstumsfraktion mit einem ki-67 < 2 Prozent.

Der ki-67-Index ist ein Proliferationsmarker; je höher der Wert ist, desto aggressiver sind die Tumorzellen. Neuroendokrine Tumoren mit höherer Wachstumsfraktion werden als endokrine Karzinome mit geringgradiger bis hochgradiger Malignität bezeichnet.

Wesentlich für die Prognose sind außer der Differenzierung das Ausmaß der Metastasierung und das damit verbundene Tumorvolumen.

In den letzten Jahren ist deutlich geworden, daß im Bereich des Ösophagus und des linksseitigen Kolons fast ausschließlich schlecht differenzierte neuroendokrine Karzinome zu erwarten sind. Dagegen sind fast ausschließlich gut differenzierte neuroendokrine Tumoren im Bereich des Ileums und der Appendix gefunden worden. An allen übrigen Lokalisationen im gastro-entero-pankreatischen System können sowohl gut differenzierte als auch schlecht differenzierte neuroendokrine Tumoren und Karzinome vorkommen.

Häufig therapierefraktäre Ulzerationen an untypischem Locus

Bei welchen klinischen Symptomen sollte man einen neuroendokrinen Tumor / Karzinom in Betracht ziehen?

Bei therapierefraktären Ulzerationen mit untypischer Lokalisation im oberen Gastrointestinaltrakt oder sekretorischen Diarrhöen, die unter Therapie mit einem Protonenpumpen-Hemmer sistieren, sollte an ein Zollinger-Ellison-Syndrom gedacht werden. Ebenso sollte bei sekretorischen Diarrhöen und / oder Flush an ein Karzinom-Syndrom gedacht werden.

Nach Ausschluß anderer Ursachen für die genannten Symptome bietet sich eine Stufendiagnostik an, die aktuell in den Konsensusempfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Neuroendokrine Tumorerkrankungen (ENETS) in der Zeitschrift Neuroendocrinology (Band 80, Suppl. 1, 2004, 12) nachlesbar ist.

Für die Diagnostik in Körperflüssigkeiten eignet sich im Serum / Plasma als Breitband-Tumormarker Chromogranin A. Nur in Einzelfällen sollten bei entsprechendem klinischem Verdacht einzelne Hormone gezielt bestimmt werden. Bei Tumoren des Mitteldarms (Jejunum, Ileum und Zökum) wie auch bei Verdacht auf Karzinoidsyndrom eignet sich die Bestimmung von 5-Hydroxyindolessigsäure im Urin.

Die Sensitivität bildgebender Verfahren bei neuroendokrinen Tumoren / Karzinomen wie zum Beispiel des transabdominellen und endoskopischen Ultraschalls, Computer- und Kernspintomographie wird in Abhängigkeit der jeweiligen Zentren und der in diesen Zentren unterschiedlich vorhandenen Erfahrungen mit einzelnen Verfahren entsprechend unterschiedlich (etwa 60 bis 90 Prozent) angegeben.

Die Somatostatin-Rezeptor-Szintigraphie (SRS) sollte früh eingesetzt werden, da dieses Verfahren im Rahmen einer sogenannten geführten Ganzkörperdiagnostik die gezielte Schnittbildgebung an zweiter Stelle an einzelnen Körperregionen ermöglicht. Hiermit kann man dem Patienten aufwendige Untersuchungen unter Einsatz eines großen Spektrums bildgebender kostspieliger Verfahren ersparen.

Die einzige kurative Behandlung bei neuroendokrinen Tumoren ist die Operation. Unter dem Aspekt, das Überleben zu verlängern, sind palliative chirurgische Verfahren im Vergleich mit konservativen Behandlungsverfahren prospektiv noch nicht evaluiert. Nicht-chirurgische Verfahren wie die medikamentöse Therapie oder die lokal-ablativen Verfahren wie Radiofrequenzablation, Chemoembolisation oder laserinduzierte Thermotherapie führen zu einer Verkleinerung der Tumoren.

Mit dem Ziel, die Progression der Erkrankung zu hemmen, die Symptomatik zu verringern und die Überlebenszeit zu verlängern, werden sogenannte Biotherapeutika eingesetzt. In Frage kommt hier Interferon-alpha (PegIntron®, IntronA, Roferon®-A), in seltenen Fällen sogar Pegasys® und Somatostatin-Analoga wie Octreotid in Depotform (Sandostatin® LAR) oder Lanreotid (noch nicht in Deutschland am Markt, über internationale Apotheken erhältlich).

Aufgrund geringerer Nebenwirkungen werden häufig Somatostatin-Analoga dem Interferon-alpha vorgezogen. Mit Biotherapeutika läßt sich bei etwa 25 bis 50 Prozent der Patienten eine Stabilisierung der Erkrankung erreichen. Bei 60 bis 80 Prozent lassen sich Symptomatik und die Konzentration der Tumormarker verringern.

Neue, noch experimentelle Verfahren sind die Somatostatin-Radionuklidtherapie, bei der radioaktiv markierte Somatastatin-Analoga verwendet werden, die zur Verkleinerung der Tumoren führen. Ein anderer Ansatz wird mit neuen Wirkstoffen aus der Gruppe der sogenannten Targeted Therapeutics verfolgt.

Diese umfassen Substanzen aus der Gruppe der Angiogenese-Hemmer (vor allem VEGFRezeptor-Antagonisten wie PTK / ZK und Bevacizumab), EGF-Wachstumsrezeptor-Hemmer (zum Beispiel Cetuximab und Gefitinib) sowie Hemmer von Zellzyklus und Zelladhäsionsmolekülen.

Prof. Dr. Bertram Wiedenmann, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum, Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin, Tel.: 030 / 450-553022, Fax: 553902, E-Mail: bertram.wiedenmann@charite.de

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