Prävention der Demenz beginnt schon in der Jugend

BERLIN (gvg). Bei Diskussionen über Demenz geht es oft darum, welche Medikamente den Patienten helfen können. Viel seltener wird erörtert, wie sich Demenz-Erkrankungen verhindern lassen.

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Angesichts der demografischen Entwicklung wäre das jedoch mindestens genauso relevant wie die Therapie: "Sofern kein Durchbruch in der Prävention gelingt, wird sich die Zahl der Demenzkranken bis zum Jahr 2050 auf etwa 2,3 Millionen erhöhen", schreibt Dr. Horst Bickel von der TU München in einem Beitrag für die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft. Das sind gut eine Million Menschen mehr als heute.

Die Prävention müsste bei alten Menschen ansetzen, die bereits eine leichte kognitive Störung (mild cognitive impairment, MCI) haben. Bei ihnen ist das Demenz-Risiko hoch: Etwa 20 Prozent erkranken nach ein bis zwei Jahren an manifesten Symptomen. MCI führt jedoch nicht zwangsläufig zum Verlust des Gedächtnisses - oft bleibt es über Jahre stabil.

Eine MCI ist nicht leicht zu diagnostizieren: Die Patienten haben im Mini-Mental-Test noch weitgehend normale Ergebnisse. Sie merken aber bereits, dass ihre kognitiven Fähigkeiten nachlassen und kommen deswegen zum Arzt, so Professor Alexander Kurz von der der TU München auf einem Workshop des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. "Bei diesen Patienten haben sich Medikamente als unwirksam erwiesen. Die Realität ist also, dass wir warten, bis die Demenz da ist", so Kurz.

Training bessert Gedächtnis und Alltagsfähigkeiten

Dass Abwarten wahrscheinlich nicht optimal ist, belegen Untersuchungen, wonach sich Gedächtnisleistung und Alltagskompetenz gerade bei diesen noch nicht demenzkranken Personen durch intensives Training stark bessern. Kurz selbst hat kürzlich in seiner Demenzsprechstunde eine solche Studie gemacht. Insgesamt dreißig Menschen nahmen teil, die im Mini-Mental-Test durchschnittlich 28 Punkte erreichten und damit an der Grenze zu pathologischen Werten lagen. 12 wurden nicht behandelt und stellten die Kontrollgruppe, 18 nahmen vier Wochen lang an einem Programm mit je 23 Wochenstunden Training teil.

"Das war ein sehr intensives Programm, an dem sämtliche Mitarbeiter mitgewirkt haben", so Kurz. Es beinhaltete Memotechniken, aber auch Lektionen zur besseren Organisation und Strukturierung des Alltags, Übungen zur motorischen Geschicklichkeit, Stressbewältigung und Erhöhung der Sozialkompetenz.

Das Resultat war deutlich: Depressive Symptome gingen signifikant zurück, Alltagskompetenz und Gedächtnis besserten sich. In der Kontrollgruppe passierte nichts dergleichen, im Gegenteil, die Patienten schnitten bei den untersuchten Parametern eher schlechter ab.

Welche Faktoren wirken einer Demenz entgegen? Der Vorlauf dürfte sehr viel länger sein als nur ein paar Jahre. "Vermutlich liegt der Anfang im mittleren Erwachsenenalter", sagte Professor Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Er selbst hat an einer der ganz wenigen prospektiven Langzeitstudien zu diesem Thema mitgewirkt, der Berliner Altersstudie, die jetzt ins zwölfte Jahr geht. "Demnach geht der kognitive Abbau bei Menschen, die geistig und sozial aktiv sind, viel langsamer vonstatten", so Lindenberger.

Das wird auch von retrospektiven Studien bestätigt, wonach bei Menschen mit hoher Bildung die Erkrankung offenbar hinausgezögert wird. So hat Kurz in einer MRT-Untersuchung bei 93 Alzheimer-Patienten und in einer weiteren Studie bei 29 Patienten mit frontoparietaler Demenz belegt, dass die Zahl der Schuljahre von Bedeutung ist. Patienten mit langer Ausbildung hatten bei ähnlichen pathologischen Veränderungen im MRT eine bessere kognitive Leistung als Patienten mit kurzer Ausbildung. "Das heißt: Je länger die Schulzeit war, umso besser können Patienten pathologische Veränderungen kompensieren", so Kurz.

Eine Auswertung der MRT-Bilder von 338 Patienten des Kompetenznetzes Demenz deutet in dieselbe Richtung: Nur bei jenen Patienten mit kurzer Schullaufbahn korrelierte das Ausmaß der Atrophie im Schläfen- und Scheitellappen mit der kognitiven Leistungsfähigkeit. Wer eine lange Ausbildung hatte, kompensierte die Atrophie besser.

Bei leichten Defiziten ist Gegensteuern noch möglich

Diese Ergebnisse legen nahe, dass mentale Rehabilitation bei leichten kognitiven Einschränkungen, ein aktives Sozialleben im mittleren Alter, eine gute Schulbildung und weitere Faktoren eine Demenz verzögern.

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