Nervensystem

Proteinpaar bringt Hirnzellen in Form

Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn sind neue Einblicke in die frühe Entwicklungsphase von Hirnzellen gelungen.

Veröffentlicht:

BONN. Die Forscher konnten in Zusammenarbeit unter anderem mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried und der Universität Bonn zwei Proteine identifizieren, die die Ausbildung von Zellfortsätzen steuern.

Aus diesen Auswüchsen gehen schließlich jene typischen Verästelungen hervor, über die Nervenzellen Signale empfangen und weiterleiten. Die Studie des Teams um Professor Frank Bradke liefert Hinweise zur Hirnentwicklung und über die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems (Neuron 2012, 76; (6): 1091-1107).

Unter dem Mikroskop zeigt sich das Gehirn als Geflecht von filigraner Schönheit, in dem Milliarden von Nervenzellen - auch "Neurone" genannt - miteinander vernetzt sind. Dieses Netzwerk betreibt regen Informationsaustausch.

Dabei geschieht der Signaltransport von Neuron zu Neuron über feine Verästelungen des Zellkörpers. Diese typische Struktur muss sich allerdings erst ausbilden. "Junge Neurone haben eine eher unauffällige Gestalt.

Sie sind rundlich und erinnern an Kirschen", wird Frank Bradke, Gruppenleiter am DZNE in Bonn, in einer Mitteilung des Zentrums zitiert. "In diesem Stadium ähnelt die Hirnzelle einer Insel. Sie ist isoliert, ohne direkten Kontakt zu anderen Zellen."

Noch in der Frühphase ihrer Entwicklung müssen Nervenzellen daher eine Wandlung durchlaufen. Wenig war bislang darüber bekannt, wie die Zellen diesen Vorgang meistern, der für ihre Funktion so entscheidend ist. Denn ein Neuron muss Fortsätze ausbilden, um mit möglichst vielen Nachbarzellen Verbindungen knüpfen zu können.

Dafür müssen zunächst sogenannte Neuriten wie winzige Keimlinge aus dem Zellkörper hervorsprießen. Die Studie der Bonner Forscher und ihrer Kollegen wirft neues Licht auf diesen Vorgang.

Dynamisches Duo bearbeitet das Zellkorsett

Durch verschiedene Untersuchungen an Hirnzellen von Mäusen gelang es den Neurowissenschaftlern, die wesentlichen Akteure der Formveränderung auszumachen: das Zellskelett - ein Gerüst aus Eiweißmolekülen, das der Zelle Gestalt und Stabilität verleiht - sowie zwei Proteine mit den Namen "ADF" und "Cofilin".

"Wir konnten nachweisen, dass diese beiden Proteine auf das Zellgerüst maßgeblich einwirken", erläutert Dr. Kevin Flynn, Mitarbeiter in Bradkes Arbeitsgruppe und Erstautor der Studie.

"Wie Scheren durchtrennen sie das Stützkorsett der Zelle an entscheidender Stelle. Durch die Lücke hindurch können sich dann Neuriten entwickeln."

Dafür gehen diverse Prozesse Hand in Hand: Das Neuron wird in seinem Randbereich insbesondere durch ein Netzwerk fadenförmiger Eiweißmoleküle, die sogenannten Aktin-Filamente, stabilisiert.

Die Proteine ADF und Cofilin wirken auf dieses Geflecht, indem sie Aktin-Filamente auflösen und den Abtransport der entstandenen Bruchstücke fördern.

Auf diese Weise wird Platz geschaffen für andere Bauteile des Zellskeletts: die "Mikrotubuli". Sie durchdringen die frei gewordene Lücke und bilden das Rückgrat neuer Zellfortsätze.

Einfluss auf die Hirnentwicklung

Wie entscheidend die beiden Proteine für die Zellentwicklung sind, stellte sich bei Untersuchungen an Mäusen heraus. Die Forscher hatten die Erbanlagen der Tiere so verändert, dass die Herstellung von ADF und Cofilin weitgehend ausblieb.

Ergebnis: Die Gehirne neugeborener Tiere waren verkümmert. Eine Analyse ihrer Gehirnzellen ergab, dass sie keine Neuriten entwickelt hatten.

"Unsere Studie zeigt, dass die Proteine ADF und Cofilin und ihr Zusammenspiel mit den Aktin-Filamenten entscheidend sind für die Entwicklung des Gehirns", sagt Bradke.

"Aber auch in anderem Zusammenhang ist die Entstehung von Neuriten bedeutsam. Beispielsweise wenn Nervengewebe sich nach einer Verletzung regeneriert und Verbindungen nachwachsen. Überdies gibt es Erkrankungen und Missbildungen des Nervensystems, die mit verkümmerten Neuriten in Verbindung gebracht werden. Wir verstehen nun besser die molekularen Vorgänge, die hier relevant sind." (eb)

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