HINTERGRUND

Sehprothesen sollen Blinden bald das Augenlicht zurückgeben

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

Nach ersten Erfolgen in klinischen Studien arbeiten Forscher jetzt weltweit an verbesserten Retina-Chips. Die Chancen, daß Patienten mit Retinitis pigmentosa und altersbedingter Makuladegeneration (AMD) ihr Augenlicht wieder zurückgewinnen, stehen daher nicht schlecht, glauben sie.

Solarstrom reizt die Nervenzellen der Retina

Im Prinzip gibt es zwei Ansätze für eine Sehprothese: Zum einen wird versucht, die Photorezeptoren, die bei AMD und Retinitis pigmentosa zugrundegehen, direkt zu ersetzen, etwa durch einen Chip mit Photodioden aus Silizium.

Er wandelt wie Solarzellen Licht in Strom um. Dieser Strom soll dann die Nervenzellen, die über dem Chip liegen, in ähnlicher Weise reizen, wie es natürliche Photorezeptoren tun - und so ein Bild erzeugen. Bei diesem, als subretinal bezeichneten Ansatz, wird der Chip unter die Netzhaut implantiert.

Der andere Ansatz geht einen indirekten Weg: Eine Videokamera, die etwa in einem Brillengestell integriert ist, nimmt die Umgebung auf. Ein Minicomputer, der am Gürtel getragen werden kann, verarbeitet die Signale netzhautgerecht und leitet sie per Funk an den Chip weiter. Bei diesem als epiretinal bezeichneten Ansatz wird der Chip auf der Netzhaut fixiert, und er reizt die darunterliegenden Nervenzellen. Erste Ergebnisse liegen bereits mit beiden Ansätzen vor.

Ein Pionier des subretinalen Verfahrens ist der US-Amerikaner Dr. Alan Chow aus Chicago. Vor drei Jahren hatte er zehn Patienten mit Retinitis pigmentosa einen künstlichen Silizium-Chip unter die Netzhaut verpflanzt. Die Patienten waren alle stark sehbehindert, durch das Implantat verbessert sich die Sehfähigkeit deutlich: Sie konnte zum Teil wieder Buchstaben erkennen, und das Gesichtsfeld erweiterte sich (Arch Ophthalmol 122, 2004, 460). Jetzt hat Chow mit 20 Patienten eine Phase-II-Studie gestartet.

Bisher arbeitet der Chip nur bei guten Lichtverhältnissen

Chows derzeitiger Chip besteht aus 5000 mikroskopisch kleinen Solarzellen, hat eine Durchmesser von etwa zwei Millimetern und ist dünner als ein menschliches Haar. Ein Nachteil: "Chows Chip funktioniert nur bei extrem guten Lichtverhältnissen. Die menschliche Netzhaut ist eben empfindlicher als jeder künstliche Halbleiter", so Dr. Walter G.-Wrobel von der Retina Implantat AG.

Das Start-up-Unternehmen aus Reutlingen hat inzwischen einen eigenen Chip entwickelt und will diesen in den kommenden Monaten bei acht Patienten mit Retinitis pigmentosa prüfen. Der Unterschied zu dem Chip von Chow: Der Chip gibt nicht einfach den Solarstrom an die Nervenzellen weiter, sondern verstärkt ihn. "Wir haben eine Verarbeitungselektronik auf dem Chip", so Wrobel.

Das Prinzip: Nicht nur der Strom wird verstärkt, der von den Photodioden kommt, die Verstärkung hängt auch von der Umgebungshelligkeit ab. Dadurch sollen Kontraste besser sichtbar werden. Für die Verarbeitungselektronik braucht der Chip allerdings eine zusätzliche Stromversorgung. Die soll wie bei Cochlea-Implantaten über eine Induktionsspule erfolgen. In der klinischen Studie sollen die Patienten das Implantat zunächst für vier Wochen erhalten.

In den USA hat der Augenchirurg Professor Mark Humayun aus Los Angeles schon Erfahrungen mit Patienten, die knapp drei Jahre lang ein Retina-Implantat tragen. Humayun favorisiert allerdings den epiretinalen Ansatz. Er hat ein Implantat bei sechs zuvor vollkommen blinden Patienten getestet.

Der Erfolg: Sie konnten Objekte mit hohem Kontrast soweit erkennen, daß sie sie zählen konnten oder in der Lage waren, ihre Position im Raum zu lokalisieren, sagte Humayun vor kurzem auf einem Kongreß in Florida. Der Forscher hatte allerdings einen Chip mit der niedrigen Auflösung von nur 16 Elektroden. Inzwischen arbeitet er an einem 1000-Pixel-Chip. Diese Auflösung wäre das Minimum, um sich mit Hilfe der Augen unfallfrei zu bewegen.

Auch ein deutsches Unternehmen arbeitet an einem epiretinalen Chip. IIP-Technologies aus Bonn hat sein System bereits bei 20 Patienten mit Retinitis pigmentosa getestet und startet jetzt weitere Tests bei Patienten mit AMD. Allerdings wird das Implantat bei den Patienten nur etwa 45 Minuten auf die Retina gelegt. Geprüft wird lediglich, ob die Patienten Lichtimpulse erkennen können, so eine Sprecherin des Unternehmens zur "Ärzte Zeitung".



STICHWORT

Netzhautdegeneration

Etwa 13 000 Menschen sind aufgrund einer Retinitis pigmentosa (RP) in Deutschland erblindet, bis zu vier Millionen haben eine altersbedingte Makuladegeneration (AMD). AMD ist die häufigste Ursache für Erblindung bei Menschen über 50 Jahren. Bei RP sterben die Photorezeptoren von der Peripherie zur Makula hin ab, bei AMD sind vor allem Sinneszellen in der Makula betroffen. Bei der feuchten AMD kann starkes Gefäßwachstum in der Retina zu völliger Erblindung führen.

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