HINTERGRUND
Therapien mit embryonalen Stammzellen sind weiter nicht in Sicht
Dürfen Wissenschaftler in Deutschland künftig auch nach 2002 hergestellte humane embryonale Stammzellen verwenden, um vielleicht eines Tages Kranke heilen zu können? Fünf Jahre nach dem Kompromiss um das Stammzellgesetz hat sich der Forschungsausschuss des Bundestags in einer Anhörung erneut mit der ethisch umstrittenen Frage befasst.
Geladen waren 24 Naturwissenschaftler, Ethiker und Rechtsexperten. Als eindeutige Gegner der geltenden Rechtslage präsentierten sich die Naturwissenschaftler: Im Kreuzfeuer ihrer Kritik standen die Stichtagsregelung für den Import der Stammzellen, die Strafandrohung für Forscher bei der Teilnahme an Studien mit embryonalen Stammzellen im Ausland und die zwangsweise Beschränkung auf die Grundlagenforschung.
Plädoyer für Aufhebung der Stichtagsregelung
Hintergrund: In einem hart umkämpften Kompromiss quer durch alle Fraktionen hatte der Bundestag Wissenschaftlern Anfang 2002 verboten, zu Forschungszwecken Stammzellen zu importieren, die nach dem 1. Januar 2002 aus bei der künstlichen Befruchtung "überzähligen" Embryonen gewonnen wurden.
Zudem drohen Wissenschaftlern, die im Ausland an Projekten teilnehmen, bei denen Embryonen jüngeren Datums verwendet werden, bis zu drei Jahren Haft. Schließlich dürfen Forscher in Deutschland Stammzellen nicht zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken verwenden. Mit dem Gesetz wollten die Parlamentarier seinerzeit verhindern, dass Embryonen eigens zur Gewinnung von Stammzell-Linien getötet werden.
Wissenschaftler sehen Gefahr für Forschung in Deutschland
Wortführer der Kritiker ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Für sie beklagte bei der Anhörung Professor Hinrich Hacker, dass die Forscher durch die Stichtagsregelung zunehmend auf kontaminierte - und damit unbrauchbare - Stammzell-Linien zurückgreifen müssten. Zudem herrsche unter Wissenschaftlern in Deutschland große Unsicherheit, inwiefern sie sich noch an europäischen Forschungsprojekten beteiligen können, wenn dort mit Stammzellen gearbeitet wird, die nach dem Stichtag gewonnen worden sind.
Außerdem müsse Wissenschaftlern hierzulande auch die diagnostische und therapeutische Forschung ermöglicht werden, so Hacker. Ohne eine Gesetzesänderung drohten Konsequenzen für den Forschungsstandort: "Damit wäre Deutschland nicht nur wissenschaftlich, sondern auch wirtschaftlich auf diesem Feld abgeschlagen", resümierte Hacker.
Doch wie weit sind Wissenschaftler international inzwischen gekommen, um mit der Stammzell-Therapie Parkinson- oder Diabetes-Patienten zu behandeln? Wiederholt stellten Abgeordnete diese Frage. Die Antwort der Wissenschaftler fiel mau aus: Durchbrüche auf dem Gebiet der Therapie mit humanen embryonalen Stammzellen "stehen nicht um die Ecke", räumte etwa Professor Jürgen Winkler von der Klinik für Neurologie an der Universität Regensburg ein. So sei in der Parkinson-Therapie in den nächsten zehn Jahren kein Durchbruch zu erwarten. Bislang gibt es weltweit keine klinische Studie mit embryonalen Stammzellen.
Was den Parlamentariern zusätzlich Kopfschmerzen bereiten dürfte, ist der Wunsch nach der Erweiterung des Forschungsansatzes, der in der Anhörung deutlich wurde: Wo bislang die Stammzell-Therapie im Fokus stand, rückt inzwischen die Herstellung von Medikamenten aus Stammzellen in den Vordergrund.
Der Wiener Mediziner und Theologe Professor Matthias Beck lehnte das strikt ab. Auch der Embryo besitze eine Menschenwürde. Daher verbiete sich dessen "Totalverzweckung". "Es ist besser, einen Embryo sterben zu lassen, als ihn zu Medikamenten zu verarbeiten", sagte er.
Bei den Volksparteien zeichnete sich indessen noch keine einheitliche Linie ab. So forderten die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der CDU/CSU Ilse Aigner, der Unions-Obmann im Ausschuss Michael Kretschmer und die Abgeordnete Katherina Reiche Änderungen bei der Stichtagsregelung und der Strafandrohung für Forscher. Andere Parlamentarier der Union äußerten sich hingegen skeptisch. Der Berichterstatter für die SPD-Fraktion René Röspel, plädierte dafür, weiter auf die adulte Stammzellforschung zu setzen, "bevor man den ethischen Rubikon überschreitet." Ein zusätzliches Argument lieferte den Skeptikern Professor Lukas Kenner vom Ludwig-Boltzmann Institut for Cancer Research in Wien. Er verwies auf eine Arbeit zweier Wissenschaftler. Ihnen sei es gelungen, adulte Stammzellen in embryonale umzuwandeln.
STICHWORT
Stammzellgesetz
Das 2002 verabschiedete Stammzellgesetz verbietet die Einfuhr von humanen embryonalen Stammzellen, die nach dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Wissenschaftler sehen darin eine eklatante Einschränkung ihrer Forschung. Als Kompromiss hat der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Bischof Wolfgang Huber angeregt, den Stichtag einmalig auf den 31. Dezember 2005 zu verschieben.