"Tiere öffnen Welten" - für Alte, Kranke und Demenzpatienten

Von Marion Lisson Veröffentlicht:

Es ist still im Raum. Die alten Damen sitzen abwartend auf ihren Stühlen. Sie wirken zerbrechlich, krank und ausgezehrt. Es sind Bewohnerinnen des Altenheims St. Michael in Heidelberg. Einige starren nur vor sich hin, keine spricht. Altenpfleger Erhard Frank schiebt gerade noch eine Frau im Rollstuhl zu der Runde hinzu. Auch ihr Blick wirkt abwesend.

Als plötzlich die Tür aufgeht, ist es mit der Stille vorbei. Drei Hunde stürmen in den Raum. Oskar, Nelly und Klondikä kommen angeprescht, wedeln aufgeregt, sausen um die Stühle herum und schnuppern wild an den Damen und ihren Stühlen. Es sind große Tiere. Eine Mischung aus Dogge und Boxer, ein Golden Retriever und eine Huskymischung - von Schoßhündchen keine Spur. Doch keine der zwölf älteren Damen scheint Angst zu haben.

Seit Dezember 2003 läuft das Projekt "Tiere öffnen Welten" im Altenheim St. Michael, das in Handschuhsheim, einem beliebten Stadtteil von Heidelberg, liegt. Hausärzte der Region begrüßen das Projekt. Daß Tiere einen positiven Einfluß auf alte und kranke Menschen haben, ist den meisten bekannt.

Eine US-Studie der Universität St. Louis mit 45 Frauen über 75 Jahren kam zu dem Ergebnis, daß sich Altenheim-Bewohnerinnen durch den regelmäßigen Kontakt mit Hunden vor allem weniger einsam fühlten. In den USA und auch etwa in den Niederlanden ist der Einsatz von Hunden in der Therapie bereits weit verbreitet.

In Deutschland gibt es bislang erst wenige derartige Projekte. Dabei kann die therapeutische Wirkung der Tiere groß sein: Selbst Demenzkranke, die sonst auf niemanden reagieren, streicheln die Hunde und sprechen mit den Vierbeinern. "Kontrakturen an den Händen lösen sich manchmal, wenn die Tiere gefüttert werden sollen, und demente Patienten erinnern sich an das eigene Haustier von früher", erzählt Altenpflegerin Patricia Huber.

"Die Wirkung der Tiere ist immer wieder verblüffend", bestätigt auch Allgemeinärztin Ute Burgi. Die Assistenzärztin arbeitet in einer geriatrische Ambulanz in der Pfalz. Sie habe schon oft im privaten Bereich beobachten können, wie sehr ältere Menschen auf fremde Hunde ansprechen würden und sich veränderten.

"Lahme schnappen sich auf einmal die Hundeleine und gehen zum Erstaunen aller mit dem Tier ein Stückchen Gassi", berichtet Burgi, die selbst Hundebesitzerin ist. In einem Altenheim habe sie einmal erlebt, wie zwei Bewohner, die ansonsten nur lethargisch auf dem Gang saßen, plötzlich ihr Mittagessen dem Vierbeiner auf den Flur getragen hätten.

"Oskar, da bist du Lausbub ja wieder", begrüßt gerade eine Seniorin in schwarzem Trainingsanzug und wirren grauen Haaren das Ungetüm auf vier Beinen. Oskars massiger Kopf liegt vertrauensvoll auf ihrem Schoß. Man kennt sich. Die alte Dame wirkt - ganz anders als zu Beginn der Stunde - mit einem Mal gar nicht mehr lethargisch.

Während sie Oskars Fell streichelt, die Wärme seiner Ohren feststellt und mit ihm spricht, verändert sich die Altenheim-Bewohnerin spürbar. Zum Ende der Stunde wird sie sogar lachen - aus Freude über die Hunde und ihr Treiben. Nicht jede der Frauen reagiert so überschwenglich. Dennoch, selbst die Zurückhaltenden in der Runde versuchen im Laufe der Stunde den Tieren das Fell zu streicheln.

"Tiergestützte Aktivität" nennt Hundetrainerin Simona Kaspereit ihr Projekt in Heidelberg. Sie kommt meist mit zwei bis drei Hunden ins Altenheim, bleibt eine Stunde, spricht mit den Bewohnerinnen, besucht Schwerstkranke auf der Station und zieht dann wieder von dannen. Die 32jährige, die hauptberuflich beim Ordnungsamt arbeitet, ist wie alle ihre Kollegen bundesweit ehrenamtlich tätig und arbeitet für den Verein "Tiere öffnen Welten", der seit 1987 besteht.

Heute ist sie in Begleitung von Anne Adrion, die bald selbst eine Gruppe übernehmen soll. Mehr als 800 Gruppen von Tierbesitzern gehen bundesweit in Einrichtungen wie Altenpflegeheime, Kindertagesstätten und psychiatrische Einrichtungen. Und dies offensichtlich mit Erfolg.

"Unseren Bewohnern tun die Tiere eindeutig gut. Auch wenn die Hunde schon wieder weg sind, drehen sich die Gespräche auf Station noch um die lustigen Kerle und lenken von dem sonst üblichen Thema Krankheit ab", so Altenpflegerin Huber.

Es gebe viele private Hundebesitzer, die bereit seien, ehrenamtlich Altenheime oder Kinderstätten aufzusuchen, erzählt Hundetrainerin Kaspereit.

45 Minuten sind im Altenheim vergangen. Die Hunde liegen schlapp am Boden. Fast alle Damen in der Runde haben gestreichelt, gefüttert oder zumindest einfach nur hingeschaut. Hundetrainerin Kaspereit verabschiedet sich. In 14 Tagen wird sie mit ihren vierbeinigen Freunden wieder kommen.



STICHWORT

Therapiehunde

Therapiehunde sind Hunde, die in Familien, bei Privatpersonen oder in Institutionen im Dienste von Gesundheit, Resozialisierung und Rehabilitation eingesetzt werden, erklärt der Deutsche Berufsverband für Therapie- und Behindertenbegleithunde (DBTB).

In Alten- und Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen und auch in manchen Krankenhäusern sind Therapiehunde gern gesehen. Das werde dann meist über Spenden bezahlt, so der DBTB. Die Kosten hingen jeweils vom Hundehalter ab. Die Ausbildung von Hund und Halter dauert etwa ein Jahr. Die meisten Therapiehundehalter arbeiten ehrenamtlich. (eb)

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