DGU-Kongress

Urologen wollen mit Prävention punkten

Ab heute steht Leipzig ganz im Zeichen des 64. Urologen-Kongresses. Im Interview spricht ihr Präsident Professor Müller über das Kongress-Motto, die Sorgen der Urologen, und warum der freie Arztberuf bereits verloren ist.

Veröffentlicht:

Professor Stefan C. Müller

Aktuelle Position: Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Universitätsklinikum Bonn

Werdegang: 1985: Anerkennung als Facharzt für Urologie

1988: Venia legendi

1994: Ordinarius für Urologie (C 4), Universität Bonn

Forschungsschwerpunkte: Ursachen der Harnsteine und Prognosefaktoren des Prostatakarzinoms.

Springer Medizin: Herr Professor Müller: Das Motto des diesjährigen Urologen-Kongresses lautet: "Wissenschaft, Fortschritt, Leben". Was steckt hinter diesem Motto?

Professor Stefan C. Müller: In dem Motto "Wissenschaft, Fortschritt, Leben" spiegeln sich die Schwerpunkte des diesjährigen Kongresses wieder.

Ohne Wissenschaft wird die Urologie zumindest akademisch gesehen nicht überleben können. Wissenschaft ist heutzutage englischsprachig und wird gemessen an Impact Faktoren und Publikationszahlen in internationalen Journalen.

Damit ist die englische Sprache in der Wissenschaft unumgänglich und der Kongress trägt dieser Tatsache mit " Urology International" Rechnung.

Fortschritt zeigt sich in vielen Facetten, ist in der Medizin aber messbar mit längerem Leben. Momentan wird dieses meist durch molekulargenetische und gerätetechnische Neuerungen der Industrie teuer erkauft und groß gefeiert. Der Status des freien Arztberufes ist unter dem Druck der Gesundheitswirtschaft bereits verloren.

Im steten Spannungsfeld zwischen demographischer Entwicklung und lauten Rufen nach Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ist es unsere Aufgabe, die Qualität der medizinischen Versorgung unter Beachtung ethischer Grundsätze sicherzustellen.

Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist die präventive Medizin, die bereits in jungen Jahren ansetzen muss und gerade für uns Urologen höchst interessant ist.

Abgesehen von Wissenschaft und Prävention braucht die Urologie aber auch fähige Operateure, um zu überleben. Talente muss man frühzeitig suchen, sie fördern und nach objektiven Kriterien selektionieren.

Die bisherigen Strukturen in Aus- und Weiterbildung versagen hier völlig und es gilt die Chance zu nutzen, anstehende Veränderungen der Approbations- und Weiterbildungsordnung zu unseren Gunsten zu beeinflussen. Qualität in der operativen Medizin und der offene Umgang mit Fehlern sind weitere Schwerpunktthemen.

Springer Medizin: Welche wissenschaftlichen Themen beschäftigen die Urologie derzeit am meisten?

Müller: Nach wie vor steht das Prostatakarzinom als häufigster Tumor des Mannes im Fokus. Viel hat sich beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom getan! Die statistisch gesehen aber sehr kleinen Fortschritte müssen teuer erkauft werden und letztendlich stehen wir noch immer mit dem Rücken an der Wand.

Auch in der Therapie von Patienten mit metastasierten Nierenzellkarzinoms ist viel in Bewegung und eine Fülle neuer Substanzen am Horizont.

Die enormen molekularbiologischen und gentechnologischen Fortschritte enden fast zwangsläufig in der Forderung nach einer individualisierten Tumortherapie - eine Thematik, die einer meiner früheren Mitarbeiter, Nitze-Preisträger unserer Gesellschaft und jetzt wissenschaftlicher Leiter eines internationalen pharmazeutischen Unternehmens beleuchten wird.

Springer Medizin: Welche Entwicklungen auf dem Gebiet der Urologie sind momentan brisant?

Müller: Die Urologie ist seit Jahrzehnten Schrittmacher operativ technischer Neuerungen. Der Begriff der minimalen Invasivität, von den Chirurgen hoch gefeiert, ist bei uns in Form der transurethralen Resektionstechnik seit fast hundert Jahren Standard.

Logische Weiterentwicklungen waren die Ureterorenoskopie und die perkutane Litholapaxie. Die Einführung der Stoßwellenlithotripsie vor über 30 Jahren war eine Weltrevolution. Urologen waren es immer gewohnt vom Neugeborenen an bis zum Greisenalter ihre Patienten aus einer Hand zu betreuen.

Zurzeit wird an einigen Standbeinen der Urologie schwer gesägt. Ich erinnere nur an die Onkologie, die Kinderurologie, die gynäkologische Urologie, die Nierentransplantation und die Andrologie.

Es liegt hauptsächlich an uns, durch Nachweise einer entsprechenden Versorgungsqualität diese vielen Facetten als Kernkompetenzen der Urologie zu behalten. Die Thematik der Prävention mit dem Ziel bei unserer Jugend anzusetzen, stünde uns Urologen gut und wir sollten versuchen auf diesem Sektor zu punkten.

Springer Medizin: Alle Fachgebiete konkurrieren um den ärztlichen Nachwuchs. Wie sieht es im Fach Urologie aus?

Müller: Im Bezug auf Talentsuche war die Urologie schon immer findig und beispielgebend. Unsere Schülertage finden auch in anderen Fachgesellschaften immer mehr Nachahmer.

Bei Studenten merkt man die Begeisterung, wenn sie erstmal die Breite unseres Fachgebietes erkannt haben. Entsprechend ihrer Bedeutung muss die Urologie im studentischen Curriculum besser vertreten sein! Die Weiterbildung muss sich internationalen Standards anpassen und besser strukturiert werden.

Wir müssen die Attraktivität der Urologie auf operativem Gebiet aber auch auf medikamentös konservativem Gebiet einem größeren Kreis potentieller Interessenten klar machen. Persönlich bin ich nicht der Meinung, dass der Weg über den chirurgischen common trunk hier hilfreich ist.

Springer Medizin: Welche politischen Themen sind derzeit auf dem Gebiet der Urologie in der Diskussion?

Müller: Der Sachverständigenrat zur Begutachtung im Gesundheitswesen sieht in seinem jüngsten Gutachten von 2012 die Sektorengrenzen zwischen ambulant und stationär als Ursache dafür, dass das deutsche Gesundheitswesen ineffizient und zu teuer sei.

Diese Grenzen bei Medizinern, Berufspolitikern und auch bei Krankenkassen abzubauen ist sicherlich eine große Herausforderung, auch wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür durch verschiedene Gesetzesänderungen geschaffen sind.

Auswüchse dieser Entwicklung sind jetzt schon erkennbar. Krankenhäuser locken im Kampf ums Überleben niedergelassene Ärzte und deren Patienten zu sich - Stichwort "Bestechungsmodell".

Andererseits gehen Niedergelassene mit ihren Patienten in solche Krankenhäuser, die ihnen "freundlich" entgegenkommen und boykottieren die anderen - Stichwort "Erpressungsmodell". Für Arzt und Krankenhaus lukrative Eingriffe wie Gelenksersatz-Operationen boomen ausgerechnet in Deutschland!

Die demographische Entwicklung arbeitet für viele, auch für die Urologie! Im Kampf ums Überleben sollten allerdings medizinisch ethische Überlegungen und bekannte Grundsätze der Indikationsstellung über die Interessen von Geschäftsführern oder den eigenen Geldbeutel gestellt werden.

Bei steigendem Bedarf an Leistungen in Gesundheit und Pflege kommt man schnell an die Grenzen der immer knapper werdenden Mittel, sodass Themen wie Priorisierung und Rationierung wahrscheinlich unvermeidbar werden.

Eine mögliche Einschränkung medizinischer Leistungen muss aber ethischen Grundsätzen folgen und rational begründbar sein. In dieser Frage darf auf kein Fall der in der freien Marktwirtschaft übliche Optimierungs- und Rationalisierungsgedanke überhand nehmen.

Springer Medizin: Auch Kongresse müssen sich immer wieder erneut um rege Beteiligung bemühen. Wie ist der Urologen-Kongress derzeit aufgestellt? Gibt es neue Ansätze und Konzepte?

Müller: Auf dem diesjährigen DGU-Kongress in Leipzig versuchen wir ganz speziell auf die Bedürfnisse unserer niedergelassenen Kollegen einzugehen. Dies geschieht zum einen mit zwei Praxisforen, die am Mittwochnachmittag und am Samstagvormittag auch zeitlich gesehen ein Alleinstellungsmerkmal im Kongressprogramm haben, und es sollte allen interessierten niedergelassenen Kollegen möglich sein, sie zu besuchen.

Abgesehen vom Berufspolitischen Forum, wo es um das "heiße Eisen" der Priorisierung im Gesundheitswesen geht, dürfte auch die Thematik der Prävention und die des "jungen Mannes" unsere Kollegen in der Praxis besonders interessieren.

Mit Urology International starten wir erstmals ein rein englischsprachiges Programm. Denn allein nur die deutsche Sprache würde den drittgrößten Urologen-Kongress auf Dauer in der Bedeutungslosigkeit versinken lassen.

Die Wissenschaftssprache ist und bleibt nun mal Englisch. Wir hoffen, mit diesem Programm zusätzlich für Gäste aus Europa und Übersee attraktiv zu werden.

Springer Medizin: Die Anästhesisten haben ihren Kongress auf drei Tage verkürzt, was vor Ort zu kritischen Stimmen von den Industriepartnern und Besuchern führte. Hat die DGU ähnliche Überlegungen?

Müller: Seit Jahren überlegt die DGU, den Samstagvormittag als Kongresstag zu streichen, da die Teilnehmerzahlen immer mehr sinken. Die Industrie hat bereits die Konsequenzen gezogen und schließt ihre Ausstellung am Freitagabend.

Der diesjährige DGU-Kongress hat die Gremiensitzungen am Mittwochvormittag auf ein Minimum reduziert und startet am Mittwoch ab 10 Uhr mit einem straffen Fortbildungsprogramm der Akademie.

Nicht zuletzt die Akzeptanz des Samstagvormittags in Leipzig wird entscheidend sein, inwieweit die bisher traditionellen Kongresstage fortgeführt werden können.

Die Fragen stellte Werner Rößling

www.dgu-kongress.de

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