Morbus Parkinson

Wider die L-Dopa-Phobie

Viele Neurologen versuchen, einen Therapiestart mit L-Dopa zu vermeiden. Dabei ist die Lebensqualität auch noch nach sieben Jahren nicht schlechter als mit jeder anderen Parkinson-Therapie.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Mit welcher Arznei ist bei Morbus Parkinson zu beginnen? Bei über 70-Jährigen wird schon immer L-Dopa zum Therapiestart empfohlen.

Mit welcher Arznei ist bei Morbus Parkinson zu beginnen? Bei über 70-Jährigen wird schon immer L-Dopa zum Therapiestart empfohlen.

© Ramona Heim / fotolia.com

OXFORD.Die einen mag es überraschen, die anderen eher nicht: Werden Parkinsonkranke initial mit einer L-Dopa-Monotherapie behandelt, ist die Lebensqualität nach sieben Jahren nicht schlechter als beim Start mit Dopamin-Agonisten oder einen MAO-B-Hemmer.

Sie ist sogar geringfügig besser, obwohl es mit L-Dopa häufiger zu den gefürchteten Dyskinesien kommt. Das schließen Neurologen um Dr. Richard Gray von der Universität in Oxford aus einer großen offenen Praxisstudie mit über 1600 Parkinsonpatienten (Lancet 2014, online 11. Juni).

Die Ärzte der Studie PD MED haben frisch diagnostizierte und noch unbehandelte Parkinsonkranke in drei Gruppe eingeteilt: Die einen begannen ihre Behandlung mit L-Dopa, die anderen mit einem Dopamin-Agonisten, die dritte Gruppe bekam einen MAO-B-Hemmer.

Bei der Verteilung achteten die Ärzte darauf, dass Alter (im Schnitt 71 Jahre) und Krankheitsstadien in allen drei Gruppen ähnlich waren. Als primären Endpunkt werteten sie das Ergebnis im Parkinson's Disease Questionnaire mit 39 Fragen (PDQ-39).

Dieses Instrument erfasst primär die Lebensqualität der Patienten und reicht auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten, hohe Werte deuten auf einen schlechten Zustand. Zu Beginn lagen die Werte in den einzelnen Gruppen bei etwa 22 Punkten. Im Median wurden die Patienten drei Jahre lang nachbeobachtet.

Wie sich herausstellte, gab es zu keinem der jährlichen Messzeitpunkte signifikante Unterschiede beim PDQ-39, allerdings war über den Gesamtverlauf der Studie hinweg der Wert in der Gruppe mit L-Dopa-Start im Schnitt um einen Punkt und in der motorischen Subskala um 1,8 Punkte besser. Diese Unterschiede waren zwar signifikant, aber klinisch nicht relevant: Hierfür hatten die Studienautoren eine Differenz von sechs Punkten gefordert.

Nur knapp signifikant, aber ebenfalls nicht relevant war zudem der Unterschied zwischen Patienten mit MAO-B-Hemmer und Dopamin-Agonisten: Beim PDQ-Gesamtwert schnitten diejenigen mit einem MAO-B-Start um 0,8 Punkte, beim motorischen Wert um 1,4 Punkte besser ab.

Wie erwartet, hatte nach sieben Jahren ein Großteil der Patienten mit einem initialen MAO-B-Hemmer oder einem Dopamin-Agonisten die Therapie abgesetzt und war auf L-Dopa umgestiegen (jeweils 72 und 50 Prozent), bei etwa einem Viertel war dies aufgrund unerwünschter Wirkungen der Fall.

Neurotoxizität längst widerlegt

Bestätigt wurde auch die Beobachtung aus vielen anderen Studien, dass unter Dopamin-Agonisten und MAO-B-Hemmern die Häufigkeit von Dyskinesien und motorischen Fluktuationen in den ersten fünf Therapiejahren deutlich geringer ist als mit L-Dopa.

Fazit: Zum einen wird bestätigt, dass die L-Dopa-Therapie etwas besser gegen die motorischen Symptome wirkt, jedoch ein erhöhtes Risiko für motorische Komplikationen birgt. Bezogen auf die Lebensqualität sind diese Unterschiede unterm Strich offenbar aber nicht relevant.

Da die mit öffentlichen Geldern geförderte Studie auch das Ziel hatte, die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Strategien zu prüfen, liegt eine Botschaft nahe: L-Dopa ist weitaus billiger als die Alternativen, vielleicht sollten Ärzte ihre Therapie doch lieber damit beginnen.

Doch diese Schlussfolgerung greift vermutlich zu kurz. Zum einen waren die Patienten bei der Diagnose im Schnitt schon über 70 Jahre alt, und in dieser Altersgruppe empfehlen die Leitlinien aufgrund der besseren Wirksamkeit und Verträglichkeit sowie des insgesamt recht niedrigen Dyskinesie-Risikos schon immer einen Therapiebeginn mit L-Dopa.

Zwar schauten die Studienautoren auch auf die unter 70-Jährigen und fanden hier ebenfalls keine relevanten Unterschiede im PDQ-39; um das Alter besser zu berücksichtigen, wäre jedoch ein Blick auf die unter 60-Jährigen sinnvoller gewesen, monieren die Parkinsonexperten Dr. Anthony Lang und Dr. Connie Marras von der Universität in Toronto, Kanada, in einem Kommentar zu der Studie.

Denn je jünger Parkinsonkranke sind, umso höher ist das Dyskinesie-Risiko unter L-Dopa. "Die entscheidende Frage, wie die beste Starttherapie bei jüngeren Patienten sein sollte, bleibt daher ungelöst", konstatieren die beiden Neurologen.

Also doch nichts Neues? Immerhin sei die Studie ein weiterer Grund, die "L-Dopa-Phobie" abzulegen, die sich viele Ärzte nach Berichten über eine mögliche Neurotoxizität der Substanz eingefangen hätten. Diese sei längst widerlegt.

Da auch Dopamin-Agonisten ihre Probleme haben und etwa Impuls-Kontroll-Störungen fördern können, sollten Ärzte den Parkinsonkranken im entsprechenden Alter das gute alte L-Dopa also nicht vorenthalten, schreiben Lang und Marras.

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