Verräterische Gene
Wie Tumorzellen selbst Alarm schlagen
Forscher haben entdeckt, dass epigenetisch wirkende Medikamente bisher ungeahntes Potenzial haben: Die Wirkstoffe bringen Krebszellen dazu, das Immunsystem auf sich zu lenken. Jetzt forschen sie daran, "das totale Chaos in den Tumorzellen" auszunutzen.
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3D-Darstellung der DNA: Eventuell haben Forscher einen Weg gefunden, durch Tumorzellen das Immunsystem anzuregen.
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HEIDELBERG. Arzneimittel, die in Tumorzellen genetische Veränderungen rückgängig machen, könnten noch wirkungsvoller sein, als bisher gedacht: Möglicherweise aktivieren sie ruhende Genabschnitte, wodurch eine Tumorzelle das Immunsystem selbst auf sich aufmerksam macht. Dies fanden Forscher am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg in Kooperation mit US-amerikanischen Kollegen heraus.
Die Medikamente schützen in erster Linie Zellen vor bösartigen Veränderungen, indem sie Tumorsuppressorgene aktivieren beziehungsweise reparieren. Tumorsuppressorgene sind Gene, die die unkontrollierte Teilung beschädigter Zellen verhindern.
Alarm durch unbekannte Eiweiße
Die Wissenschaftler entdeckten jedoch, dass diese Arzneien durch ihre epigenetischen Reparaturen noch einen weiteren Effekt haben: Dadurch werden versteckte regulatorische Abschnitte in den Genen aktiviert, die neue Eiweißschnipsel bilden. Diese für den Körper fremden Proteine erkennt das Immunsystem. Dadurch kann es möglicherweise Tumorzellen besser erkennen, da die Immunantwort angekurbelt werden könnte.
Die entartete Zelle enttarnt sich quasi selbst: "Das ist das totale Chaos in den behandelten Tumorzellen – damit hatten wir nicht gerechnet", so David Brooks, einer der Erstautoren der Studie. Die Forscher erkannten ebenfalls, dass die epigenetisch reaktivierten Genabschnitte von Viren abstammen. Diese bauten ihre DNA vor Urzeiten in das menschliche Genom ein. Im Laufe der Evolution wurden diese Abschnitte jedoch stillgelegt.
Effekt für Therapie nutzbar?
Bisher gingen diese Medikamente unspezifisch in den regulatorischen Abschnitten des Erbguts vor. "Die Wirkstoffe gehen wie ein Rasenmäher über die DNA und entfernen praktisch alle Markierungen", sagt Prof. Christoph Plass, Leiter der Epigenetik am DKFZ. Die Wissenschaftler wollen nun klären, inwieweit dieser bisher beiläufige Wirkmechanismus von Krebsmedikamenten aktiv genutzt werden kann. Weiterhin sei es "denkbar, dass sich diese Genabschnitte als Biomarker eignen, um zu prüfen, ob eine epigenetische Therapie beim individuellen Patienten wirkt und sinnvoll ist", so Plass weiter. (ajo)