Harnstein-Theorie wackelt

Zu viel Salz im Urin doch kein Auslöser?

Nach einer Hypothese müsste der Harn Gesunder deutlich weniger Mineralsalze enthalten als der Urin von Patienten mit Harnsteinen. Eine aktuelle Metaanalyse hat das nicht bestätigt.

Von Dr. Dagmar Kraus Veröffentlicht:
Möglicherweise ist eine überhöhte Konzentration löslicher Salze im Urin gar nicht der Auslöser für Harnsteine.

Möglicherweise ist eine überhöhte Konzentration löslicher Salze im Urin gar nicht der Auslöser für Harnsteine.

© [M] rorem/shutterstock.com | victorburnside/istockphoto.com

KAPSTADT. Die Übersättigung des Harns gilt als Auslöser der Harnsteinbildung. Jetzt werden erstmals Zweifel laut.

Vor mehr als 40 Jahren haben Robertson und seine Ko-Autoren erstmals die Hypothese der Übersättigung (supersaturation) formuliert: Steigt die Konzentration löslicher Salze im Urin über die Sättigungsgrenze, fallen sie aus und kristallisieren, es bilden sich Steine.

Zahlreiche Studien haben die Bedeutung der Übersättigung für das Harnsteinrisiko bestätigt.

Das Problem: die Heterogenität dieser Studien. So war etwa die Berechnung der Sättigungsgrenzen alles andere als einheitlich, wie Allen L. Rodgers von der Universität in Kapstadt und seine Kollegen im Rahmen ihrer Metaanalyse erkennen mussten (BJU Int 2013, online 4. Oktober).

Die Urinkonzentrationen bei Gesunden und Steinbildnern variierten zwischen den Untersuchungen enorm und überschnitten sich so stark, dass die gemessenen Harnkonzentrationen keine Rückschlüsse auf "Gesunde" oder "Steinbildner" zuließen.

Die Auswahl der Studienteilnehmer unterschied sich

Die südafrikanischen Wissenschaftler hatten insgesamt 47 Studien ausgewertet, wovon in 14 Untersuchungen Gesunde und Steinbildner berücksichtigt wurden, während 18 Untersuchungen ausschließlich auf Gesunde und 15 Studien auf Steinbildner fokussierten.

In manchen Studien wurde zwischen den verschiedenen Steintypen nicht differenziert, in anderen wurden die Steine überhaupt nicht näher charakterisiert. Große Unterschiede gab es auch dabei, wie die Harnsättigung berechnet wurde.

In 16 Studien wurden dazu 13 Parameter (wie Kalzium, Magnesium, Natrium, Kalium, Oxalat, Zitrat, Phosphat, Sulfat, Chlorid, Harnsäure, Ammonium, pH-Wert und Volumen) berücksichtigt, bei 26 flossen nur zehn bis zwölf Parameter ein, vier Erhebungen beschränkten sich gar auf neun oder weniger.

Die 47 Studien ergaben schließlich 123 Übersättigungs-Werte bei Gesunden und 122 SS-Werte bei Steinbildnern.

Zwar lag der Übersättigungs-Wert bei Steinbildnern im Median fast immer höher als bei Gesunden, aber die Spannbereite war so groß, dass sich die Konzentrationsangaben für Gesunde und Steinbildner stark überschnitten, im Falle von Brushit- und Harnsäuresteinen gar zu 90%.

Filter waren Patiententyp, Software und Komponentenzahl

Für eine bessere Vergleichbarkeit "filterten" die Studienautoren die Daten nach "Patiententyp", genutzter Software zur Berechnung der Sättigungsgrenze sowie der Anzahl der Komponenten, die in die Berechnung eingeflossen war.

Dadurch verkleinerte sich zwar die Schnittmenge etwas, blieb aber dennoch viel zu hoch. Im besten Fall - etwa bei Kalziumoxalat-Steinen - überschnitten sich die Werte noch zu 28%.

Für Rodgers und seine Mitautoren steht somit fest, dass die absoluten Übersättigungs-Werte ohne diagnostischen Wert sind. So ließen sich anhand der Daten weder "hohe" Werte quantifizieren noch anhand des Urins auf Probanden mit oder ohne Stein schließen.

Nach Ansicht der Studienautoren macht die Bewertung der Harnsättigung nur vergleichend Sinn, etwa wenn der Wert vor Beginn der Therapie und dann einige Wochen später gemessen wird, um den Erfolg einer Behandlung zu beurteilen.

Rodgers und Kollegen gehen sogar soweit, die Übersättigung des Harns als auslösenden Faktor infrage zu stellen.

Mehr zum Thema

Blase, Niere, Prostata

Konsum von Cannabis erhöht Risiko für urologischen Krebs

„Das Blatt wendet sich“

RAS-Blocker präoperativ eher nicht absetzen?

Das könnte Sie auch interessieren
Was zur Prophylaxe wirklich nützt

© bymuratdeniz / Getty Images / iStock

Rezidivierende Harnwegsinfekte

Was zur Prophylaxe wirklich nützt

Kooperation | In Kooperation mit: Dermapharm AG
Fast jede Frau macht die Erfahrung einer Blasenentzündung. Häufigster Erreger ist E. coli.

© Kateryna_Kon / stock.adobe.com

Prophylaxe von Harnwegsinfekten

Langzeit-Antibiose nicht mehr First Line

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Dermapharm AG
Plädoyer für die Immunprophylaxe bei Harnwegsinfekten

Experten-Workshop

Plädoyer für die Immunprophylaxe bei Harnwegsinfekten

Kooperation | In Kooperation mit: Dermapharm AG
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: Reduktion von HWI-Rezidiven nach initialer Verordnung des Phytotherapeutikums im Vergleich zur initialen Verordnung eines Antibiotikums

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [1]

Real-World-Daten zu unkomplizierten Harnwegsinfektionen

Pflanzliches Arzneimittel: weniger Rezidive als unter Antibiotikum

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Repha GmbH Biologische Arzneimittel, Langenhagen
Abb. 1: Typische Laborbefunde bei paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH)

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [1, 7, 8]

Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie

Unklare Hämaturie – auch an PNH denken

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg
Porträt: Dr. Jörg Sandmann | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

© Porträt: Dr. Jörg Sandmann | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Der hypogonadale Patient in der Hausarztpraxis

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Besins Healthcare Germany GmbH, Berlin
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Sieht lecker aus und schmeckt — doch die in Fertigprodukten oft enthaltenen Emulgatoren wirken proinflammatorisch. Ein No-Go für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.

© mit KI generiert / manazil / stock.adobe.com

Emulgatoren in Fertigprodukten

Hilfreich bei Morbus Crohn: Speiseeis & Co. raus aus dem Speiseplan!