Kolumne aus Berlin
Die Glaskuppel: Zwei Ministerinnen und Millionen gegen Long-COVID und ME/CFS
Die Forschungsministerin nimmt viel Geld in die Hand, um Long-COVID und ME/CFS beizukommen, die Kollegin aus dem Gesundheitsressort etwas weniger. Beider Ziel: Lernen, wie sich Spätfolgen der Pandemie und weiterer Infektionen beherrschen lassen.
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Reichstags-Kuppel in Berlin: Das Virus beschäftigt die Politik noch immer – besser gesagt die Spätfolgen.
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Offiziell ist die Corona-Pandemie Geschichte. Die Weltgesundheitsorganisation hat sie im Mai 2023 für beendet erklärt. Das Virus schert sich allerdings nicht darum. Noch muss das Robert Koch-Institut darauf verweisen, dass die so genannte Aktivität respiratorischer Erkrankungen (ARE) seit Monaten vor allem von Rhinoviren und – immer noch – von SARS-CoV-2 ausgeht.
Die COVID-19-Inzidenz lag in der 46. Kalenderwoche bei 600 COVID-19-Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern. Damit hat sie sich im Vergleich zur Woche davor glatt verdoppelt.
Die Versorgung akuter COVID-Fälle ist für die Ärzte Routine. Anders sieht es offenbar bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten aus, bei denen eine akute Infektion in eine langwierige Erkrankung übergeht.
Auch Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie sind die Versorgungsstrukturen für Menschen mit Long-COVID und/oder Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronical Fatigue Syndrom noch nicht hinreichend entwickelt. Ein Grund dafür sei die stark vernachlässigte biomedizinische und klinische Forschung, teilt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS dazu mit.
Nina Warken und Dorothee Bär schmieden Allianz
Ministerinnen verzahnen ihre Ressorts beim Kampf gegen Long Covid und ME/CFS
Diese Lücke will die Regierung nun schließen, wie übrigens auch schon die „Ampel“-Koalition. Damals, im August 2023 war die Rede von rund 300.000 Long-COVID-Patienten. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) sind nun eine „Allianz gegen postinfektiöse Erkrankungen“ eingegangen. Ziel soll sein, den nunmehr mindestens 1,5 Millionen betroffenen Menschen in Deutschland zu vermitteln, dass sie wahrgenommen werden.
Der Name der Aktion folgt dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Britische Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass post-akute Infektionssyndrome nicht nur nach Covid-19 auftreten, sondern beispielsweise auch nach Influenza und Dengue sowie auch nach Infektionen durch Bakterien.
Dass in den kommenden zehn Jahren 500 Millionen Euro vom Forschungsministerium, 118 Millionen vom Gesundheitsministerium und rund 30 Millionen vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ausgegeben sollen, um ME/CFS besser zu verstehen, sei ein Hoffnungsschimmer, sagt das unparteiische Mitglied des G-BA, Karin Maag, der Ärzte Zeitung.
„Da hat schon die Botschaft Bedeutung. Dafür Grundlagenforschung zu erhalten wäre super. Aber auch Versorgungsforschung ist immens wichtig.“
Maag: ME/CFS gehört in die ÄrzteAusbildung
Als Vorsitzender des beim G-BA für Long-COVID und ME/CFS zuständigen Unterausschusses sind Maag die kollektiven Wissenslücken bewusst: „Wir haben bisher keine repräsentativen Umfragen, keine wissenschaftlichen Erhebungen, wie die Versorgung dieser Patientinnen und Patienten stattfindet.“ Dafür sei es aber auch noch zu früh.
Die Berichte zur Versorgung fallen in der Ärzteschaft und aus Patientensicht unterschiedlich aus. Es gebe ein Weiterbildungsinteresse in der Ärzteschaft, stellt Maag fest. KVen meldeten Veranstaltungen mit 100 Teilnehmenden.
G-BA-Richtlinie steht vor der Veröffentlichung
Long COVID: Hausarztpraxen sollen Schlüsselrolle bei der Versorgung spielen
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat in der vorvergangenen Woche ein Qualitätszirkel-Modul zu Long-COVID und ME/CFS vorgelegt. Zu dessen Inhalt gehören diagnostische Möglichkeiten ebenso wie Hinweise auf die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten.
Ausgangspunkt für die Veröffentlichung sei die Long-COVID-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, heißt es dazu bei der KBV.
Aus Sicht der Patientinnen und Patienten wiederum scheint die Versorgung noch defizitär zu sein. Insbesondere die schwer Erkrankten berichteten, dass sie als Leidtragende oft mehr wüssten als die behandelnden Hausärzte.
„Wir brauchen nicht nur umfassende Weiterbildungen, sondern postvirale Symptomkomplexe wie Long-COVID und ME/CFS müssten schon im Studium behandelt werden“, fordert Maag Konsequenzen in der Ärzteausbildung.
Leitlinienarbeit hinkt hinterher
Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine postinfektiöse Erkrankung haben es schwer, hausärztliche Ansprechpartner zu suchen. Wenn ein ME/CFS-Patient in eine Praxis komme, bringe er oft schon eine lange Krankheitsgeschichte mit, und er habe eine Odyssee von Facharzt zu Facharzt hinter sich. Die Anliegen dieses Patienten könnten nicht in zehn Minuten erledigt werden, sagt Maag.
G-BA beschließt Richtlinie
Bessere Versorgung für Long-COVID-Patienten und ME/CFS-Betroffene
Die Long-COVID-Richtlinie des G-BA kommt seit Anfang dieses Jahres in der Versorgung an. Seither könnten die damit verbundenen speziellen Leistungen vergütet werden, es gebe EBM-Ziffern. „Und die sind gar nicht schlecht“, sagt Maag.
Aufgabe des Bundesausschusses sei gewesen, einen Versorgungspfad vor allem für leichter Erkrankte zu entwickeln, um vor allem die Spezialambulanzen zu entlasten. Das sei mit der Richtlinie hinzukriegen. Für die schwerer Erkrankten wie die ME/CFS-Patienten seien die Versorgungsbedarfe bundesweit leider noch nicht abzubilden.
Als Grund für diese Situation gilt auch der Entwicklungsstand der Leitlinien zum „Long-/Post-COVID-Syndrom“. Eine Anhebung des Leitlinienniveaus würde helfen, schätzt Maag. Auf die Veröffentlichung der Leitlinie zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen werde allerdings seit bereits 18 Monaten gewartet.
Diese sei zuletzt für den 31. Dezember 2024 angekündigt gewesen, aktueller Stand sei der 31. Dezember 2025. „Und ich habe den leisen Verdacht, dass auch dieser Termin gerissen wird.“
Off-Label-Therapien in Sichtweite
Die Hängepartien bei den Leitlinien haben auch dazu beigetragen, dass der Unterausschuss Long-COVID des G-BA seit 16 Monaten nicht mehr getagt hat. Er werde erst wieder zusammentreten, wenn es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gebe, wenn die Fachgesellschaften zumindest die S2k-Leitlinie erarbeitet haben werden.
Davon sei man im Moment aber noch weit entfernt, so Maag. Gleichwohl wird im Bundesausschuss an Long-COVID und ME/CFS gearbeitet. Dem Innovationsausschuss liegen für das Jahr 2026 insgesamt 19 Anträge zu diesen Themen vor.
Gute Nachrichten zudem kommen derweil aus dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Dort habe eine Expertengruppe vier Medikamente zum Off-Label-Use empfohlen. Der Bundesausschuss werde bald das Stellungnahmeverfahren dazu einleiten. „Der offiziell geregelte Off-Label-Use wird den versorgenden Ärztinnen und Ärzten hoffentlich helfen, bei Long-COVID die Symptome besser in den Griff zu bekommen“, so Maag.






