Kurioser Arzneifund

Morphium en masse im Altpapier

Nicht nur Medikamentenschachteln fand ein Anästhesist in einem Altpapier-Container im saarländischen St. Ingbert. Sie enthielten mehr Morphium,, als eine Krankenhausapotheke braucht. Woher kommt der Stoff? Ermittler werden vom Datenschutz gebremst.

Dr. Michael KudernaVon Dr. Michael Kuderna Veröffentlicht:
 Morphium und Benzodiazepine im Container.

Altpapier der besonderen Art: Denn die Medikamentenschachteln waren befüllt mit Injektionslösung.

© Polizei

St. Ingbert. Da staunte ein Anästhesist nicht schlecht: Ein Altpapier-Container, vor dem er im Ortsteil Rohrbach der saarländischen Mittelstadt St. Ingbert stand, quoll vor lauter Medikamentenschachteln fast über. Beim genaueren Hinsehen wurde die Überraschung noch größer: Offenbar hatte da jemand erhebliche Mengen an Morphium und Benzodiazepine als Injektionslösung entsorgt.

Also wurde die Polizei gerufen. Die Beamten stellten, verteilt auf diesen und andere benachbarte Behälter, über 1200 Originalverpackungen sicher. Teile des brisanten Fundes entdeckten sie sogar in abgeschlossenen Altkleider-Containern.

Rezept führte zu einem Patienten

Seit jenem Samstagabend Ende Mai stehen die Ermittler vor einem Rätsel, das möglicherweise nie aufgeklärt wird. Ein Rezept, das bei einem der Päckchen gefunden wurde, führte immerhin zu einem leibhaftigen Patienten. Der muss tatsächlich hochdosiert medikamentös versorgt werden, fand die Polizei heraus.

Nach Angaben des zuständigen Kripo-Beamten gab er an, er habe zuhause überschüssige Vorräte ausgesondert. Wie die Morphin-Schachteln zu den Containern gelangten, habe er nicht erklären können.

1200

Originalverpackungen mit Injektionslösungen wurden Ende Mai von der Polizei im saarländischen St. Ingbert sichergestellt. Der Fall stellt die Ermittler vor ein Rätsel.

Nun steckt die Polizei aber in einem Dilemma: Nach derzeitigem Stand kann man nur wegen illegaler Entsorgung von Betäubungsmitteln ermitteln, mehr ist dem Mann wohl nicht vorzuwerfen.

Einkaufswert von rund 50.000 Euro

Doch woher kommt das viele Morphium, das einen Einkaufswert von etwa 50.000 Euro und einen zehnfach höheren Schwarzmarktwert haben dürfte? Wer hat all das verschrieben? Ein einzelner Mediziner oder ist es das Ergebnis von Arzt-Hopping? Warum hat der Patient es über Jahre hinweg gehortet? Oder steckt doch eine ganz andere Geschichte dahinter? Und was passiert mit dem wertvollen Fund, der in dieser Größenordnung noch nicht einmal in einem Krankenhaus vorgehalten wird?

Sorgfältig gestapelt werden Morphium und Benzodiazepine vermutlich im Verbrennungsofen landen.

© Polizei

Sorgfältig gestapelt werden Morphium und Benzodiazepine vermutlich im Verbrennungsofen landen.

Auf die meisten dieser Fragen gibt es bisher keine Antwort. Die befragten Personen konnten nur wenig zur Erhellung beitragen. Nur das weitere Schicksal des Morphins scheint vorgezeichnet: Aus Gründen der Arzneimittelsicherheit, nämlich der fehlenden Garantie einer stets angemessenen Lagerung, und auch wegen rechtlicher Bedenken gegen eine Weitergabe von Betäubungsmitteln, kommt eine Spende nicht in Frage.

War es ein toter Briefkasten

So müssen die Medikamente wohl originalverpackt und vor ihrem Ablaufdatum vernichtet werden, was auch gestandene Kripo-Beamte eigentlich empörend finden. Was die Herkunft anlangt, machen auch wilde Spekulationen die Runde. So meint ein Apotheker, es müsse sich um gefälschte Ware handeln und die Container hätten womöglich als „toter Briefkasten“ gedient.

Gegen ein bloßes Hamstern spreche, dass kaum ein Medikament über lange Zeit im gleichen optischen Gewand auftrete. Zudem seien die Transportwege bei Betäubungsmitteln gut nachvollziehbar. Gerade die ordentliche Verpackung und die „Entsorgung“ sprechen aber auch gegen krumme Geschäfte. Und solange kein konkreter Verdacht gegen irgendeinen Beteiligten besteht, kann nicht gezielt ermittelt werden.

Tatsächlich sind die Möglichkeiten zur Kontrolle der Verschreibungen und zum Nachvollzug des mysteriösen Falls gering. Ein Beispiel: Stimmt der Patient nicht zu, können die Behörden bei seinem Arzt oder mehreren beteiligten Ärzten nicht Rücksprache halten.

Hohe Hürden für Datenaustausch

So bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass eine Klärung wegen des an sich berechtigten Datenschutzes vermutlich nicht möglich ist. Ob Apotheke, Arzt oder Krankenkasse – überall sind die Hürden für personenbezogenen Informationsaustausch hoch.

So werden wohl am Ende wertvolle Medikamente im Ofen landen und die Ermittler ihrer Liste ungelöster Fälle eine kuriose Geschichte hinzufügen müssen. Der desillusionierende Kommentar eines Insiders: „Man muss eben mit Auswüchsen leben.“

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