Ärzte haben große Risiken der Sportler in Kauf genommen

Im Auftrag der Universität Freiburg hat eine Kommission um den Juristen Dr. Hans Joachim Schäfer die Verstrickung Freiburger Ärzte in das Doping-System im Radsport aufgearbeitet. Schäfer zieht im Gespräch Bilanz.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Die Tour de France fährt in dieser Woche ihrem Höhepunkt zu: die Etappen in den Alpen. Mit dabei sind auch dieses Jahr Sportler und Teams, die unter Doping-Verdacht stehen.

Die Tour de France fährt in dieser Woche ihrem Höhepunkt zu: die Etappen in den Alpen. Mit dabei sind auch dieses Jahr Sportler und Teams, die unter Doping-Verdacht stehen.

© Foto: dpa

Ärzte Zeitung: Herr Schäfer, schauen Sie die Tour de France?

Schäfer: Ich sehe mir ausgewählt einige wenige Etappen an. Schließlich bin ich Hobby-Radfahrer.

Ärzte Zeitung: Bei der Arbeit in der Kommission der Uniklinik mussten Sie mit der Staatsanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) kooperieren. Wie autonom konnten Sie untersuchen und berichten?

Schäfer: Wir hatten keine Restriktionen bei den Untersuchungen. Es wurden uns stets alle sachlichen und finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt, die wir benötigt haben.Wir haben im Gegensatz zu anderen mit Doping befassten Kommissionen wir unsere Arbeit zu Ende führen können. Wir haben Protokolle unserer Anhörungen mit denen der Staatsanwaltschaft Freiburg und dem BKA ausgetauscht. Von dem Austausch haben wir wechselseitig profitiert, denn die Zeugen und deren Aussagen waren nicht unbedingt identisch. Im Bericht konnten wir allerdings nicht alle Namen nennen, was ich durchaus etwas bedauere. Laut der Staatsanwaltschaft hätten wir sonst die laufenden Ermittlungen behindert.

Ärzte Zeitung: Es wird also noch etwas nachkommen? Schäfer: Wenn, dann nicht von uns, sondern von der Staatsanwaltschaft. Ärzte Zeitung: Sie überarbeiten den Bericht derzeit. Warum? Schäfer: An einer Stelle im Bericht müssen wir uns korrigieren. Die Korrektur werden wir demnächst, wie zuvor den Zwischen- und den Abschlussbericht, ins Internet stellen. Ärzte Zeitung: Die Kommission wird vermutlich von den des Dopings Beschuldigten attackiert. Sind Sie dagegen abgesichert? Schäfer: Sowohl von Ärzten, als auch von Fahrern werden wir natürlich angegriffen, teilweise mit, teilweise ohne Anwälte. Der Aufsichtsrat der Universität hat uns abgesichert. Wir hoffen, dass die Versicherungssumme ausreicht (lacht).

Ärzte Zeitung: Wir haben Sie die Ärzte in den Anhörungen erlebt?

Schäfer: Anders als einige Fahrer haben zwei Ärzte vor der Kommission keine Angaben gemacht. Professor Andreas Schmid und Dr. Lothar Heinrich haben zwar in einer Stellungnahme gegenüber dem Uni-Klinikvorstand Dopingaktivitäten in den 90er Jahren zugegeben, aber danach geschwiegen. Diese Zeitangabe war nachweislich falsch. Beide haben ab Mitte der 90er Jahre bis mindestens 2006 Radfahrer systematisch aktiv gedopt und dabei zum Teil lebensbedrohliche Risiken für die Sportler in Kauf genommen, zum Beispiel Sepsis und Embolie bei Eigenbluttransfusionen. Alle anderen Ärzte haben sich geäußert, aber eine Beteiligung an Doping bestritten.

Ärzte Zeitung: Unter den Sportlern war Andreas Klöden, der jetzt bei der Tour de France fährt...

Schäfer: Klöden hat sich am Abend des 2. Juli 2006, als die Tour gerade begonnen hatte, von Professor Schmid in Freiburg Eigenblut reinfundieren lassen, ebenso wie Patrick Sinkewitz und Matthias Kessler. Klöden war in einem Nachbarraum zu dem von Sinkewitz. Klöden bestreitet dies. Ich halte die Aussage von Patrick Sinkewitz für absolut glaubhaft.

Ärzte Zeitung: Welches Ihrer Rechercheergebnisse hat sich Ihnen besonders eingeprägt?

Schäfer: Eine Episode haben wir akribisch rekonstruiert. Am Sonntag, den 9. Juli 2006, also eine Woche nach den drei Eigenbluttransfusionen, flog Dr. Heinrich nachmittags von Rennes nach Basel. Dort landete er um 17 Uhr. Um 19.05 Uhr saß er wieder im Flieger, es ging zurück von Basel über Paris nach Bordeaux, wo zwei Tage später die neunte Etappe begann. Zwischen Ankunft und Abflug lagen zwei Stunden und fünf Minuten. Für diese Zeit hat sich Dr. Heinrich einen Mietwagen gebucht - alles mit Quittungen belegt. Er ist von Basel nach Freiburg und zurück gefahren. Im Zentrallabor der Uni-Klinik sind dann die Blutproben am selben Abend analysiert worden - was nach den Eigenbluttransfusionen eine Woche zuvor durchaus Sinn machte.

Ärzte Zeitung: Der Abschlussbericht ist vor der Freigabe an die Öffentlichkeit gelangt. Wie haben Sie die Rolle der Medien empfunden?

Schäfer: Diese Erkenntnis war für die Kommission bitter, offenbar hat jemand unserem Ansehen schaden wollen. Der "Spiegel"(Anm. der Red.: Ausgabe 18/2009) hat eine Gelegenheit am Schopfe gepackt. Die Medien hatten ein extremes Interesse an der Aufklärung, andererseits waren sie der Kommission gegenüber sehr kritisch eingestellt. Nachdem wir im März 2008 unseren Zwischenbericht vorgelegt hatten, änderte sich diese Haltung spürbar. Von Journalisten wir haben auch wertvolle Hinweise bekommen. Den zeitlichen Druck, den Medien verursachen, haben wir gebraucht, sonst läge der Bericht möglicherweise noch nicht vor.

Der Doping-Fall Andreas Klöden

Die Tour de France 2009 läuft. Mit dabei ist auch Andreas Klöden für das Team Astana. Klöden soll bei der Tour vor drei Jahren an der Universitätsklinik Freiburg von einem Arzt mit Eigenblut gedopt worden sein.

Auch seine damaligen T-Mobile-Teamkollegen Patrick Sinkewitz und Matthias Kessler waren dabei. Klöden bestreitet die Vorwürfe. Eine Untersuchungskommission der Uni Freiburg deckte auf, dass Sportmediziner seit Mitte der 90er Jahre ein nach außen offenbar abgeschirmtes System von Doping aufgebaut haben: Sie legten fiktive Patientenakten an, stellten falsche Atteste aus, dopten die Sportler mit Epo, Glukokortikoiden und Wachstumshormon, infundierten heimlich Eigenblut und leiteten Gelder an der Universität vorbei auf eigene Konten (wir berichteten). Der Kommission gehörten der Jurist Dr. Hans-Joachim Schäfer, der Sportwissenschaftler Professor Wilhelm Schänzer (Köln) und der Pharmakologe Professor Ulrich Schwabe (Heidelberg) an. Die Arbeit der Kommission hat Vorbildcharakter. (nsi)

Dr. Hans Joachim Schäfer

Dr. Hans Joachim Schäfer (73) war Präsident des Sozialgerichts Reutlingen von 1980 bis zur Pensionierung im Jahr 2001. Ab 1983 saß er im Gericht der Kammer für Kassenarztrecht vor und beschäftigte sich in verschiedenen Ausschüssen mit dem Kassenarztrecht. Seit 2004 sitzt er dem Beschwerdeausschuss des Landes Baden-Württemberg vor. Zuständig ist er für Honorar- und Arzneimittelregresse. (nsi)

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