Kampf um lebenserhaltende Maßnahmen

Alfie Evans‘ Tod befeuert Debatte um Betreuung schwerstkranker Kinder

Sein Schicksal bewegte Menschen weit über Großbritannien hinaus: Alfie wurde nur 23 Monate alt. Der Kampf um seine Behandlung befeuert eine Debatte über den Umgang mit todkranken Kindern.

Veröffentlicht:

LIVERPOOL/ROM. Nach dem Tod des schwer kranken Alfie Evans haben mehr als 1000 Briten mit blauen und lila Luftballons Abschied von ihm genommen. Der Junge war zwölf Stunden zuvor in der Nacht zum Samstag im Kinderkrankenhaus Alder Hey in Liverpool gestorben. Eine nicht klar diagnostizierte neurologische Erkrankung hatte sein Gehirn fast vollständig zerstört. "Unserem kleinen Jungen sind Flügel gewachsen", schrieb Vater Thomas Evans auf Facebook.

Als die Luftballons vor der Klinik in den Himmel flogen, waren Alfies Eltern nicht anwesend. Zwischen ihnen und den Ärzten hatte es einen erbitterten Streit um das Schicksal des knapp Zweijährigen gegeben (wir berichteten). Der Fall beschäftigte mehrere Gerichte und sogar den Papst. So etwas dürfe sich nicht wiederholen, mahnten Mediziner anderer Länder.

Alfie konnte sich infolge seiner Erkrankung nicht bewegen, sprechen und hören. Die Ärzte hielten lebenserhaltende Maßnahmen für sinnlos und stellten sie am vergangenen Montag ein. Zur Überraschung der Mediziner atmete der Junge von allein weiter, wie sein Vater sagte.

Eltern hätten Alfie auch zu Hause betreut

Die Eltern wollten, dass Alfie so lange wie möglich lebt. Sie kämpften daher auch für eine Behandlung im Ausland. Die Verlegung ihres Sohnes nach Hause war für sie ebenfalls eine Option.

Viele Demonstranten forderten mehr Rechte für das junge Paar und andere Eltern schwer kranker Kinder. Die Polizei musste die Klinik sichern. Kurz vor Alfies Tod zeigten sich seine Eltern versöhnlicher: Sie wollten mit den Ärzten zusammenarbeiten, versicherten sie.

Sogar der Papst hatte sich für das Kind eingesetzt. "Ich bin vom Tod des kleinen Alfie tief getroffen", ließ der Pontifex am Samstag auf Twitter mitteilen. Die Regierung in Rom hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Jungen ins vatikanische Kinderkrankenhaus Bambino Gesù zu bringen. Ein britisches Gericht untersagte das.

"Ideologische Auseinandersetzungen"

Solche "ideologischen Auseinandersetzungen und Kämpfe" dürften sich nicht wiederholen, sagte die Chefin der Klinik, Mariella Enoc, der Nachrichtenagentur Ansa. Wissenschaftler, Krankenhausärzte, Familien und Institutionen müssten darüber in den Dialog treten. Ein Ethiker aus England forderte den Einsatz von Mediatoren in solchen Fällen.

Auch der deutsche Experte Nikolaus Haas hatte den Umgang mit dem Fall in Großbritannien scharf kritisiert. In Deutschland wäre Alfie "selbstverständlich auf Wunsch der Eltern weiterbehandelt worden", sagte der Professor für Kinderkardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin vom Universitätsklinikum München der Deutschen Presse-Agentur wenige Tage vor dem Tod des Kindes. Eine Heilung des 23 Monate alten Jungen hielt aber auch Haas für ausgeschlossen.

Arroganz und Furcht vor Kosten im NHS?

Haas hatte im Auftrag eines britischen Gerichts ein Gutachten erstellt und die Verlegung des Jungen in ein Krankenhaus in Deutschland, Italien oder nach Hause befürwortet. Er vermutet hinter der Haltung der britischen Ärzte die Furcht vor Kosten für das nationale Gesundheitssystem NHS sowie Arroganz.

Alfies Tod erinnert an den Fall Charlie Gard (wir berichteten). Der kleine Brite hatte einen extrem seltenen Gendefekt und starb im vergangenen Sommer nach monatelangem juristischen Tauziehen in einem Hospiz. Er wurde nur elf Monate alt. Die Eltern durften ihn nicht für eine experimentelle Therapie in die USA ausfliegen lassen. Auch damals hatte sich der Papst eingeschaltet – und selbst US-Präsident Donald Trump war aktiv geworden. (dpa)

Lesen Sie dazu auch: Alfie Evans: Schwerkranker Junge muss in London bleiben

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Kriminalität

Lebenslange Haft in Folterprozess gegen syrischen Arzt

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Blutzuckervariabilität

Wie die Time Below Range das Diabetes-Management verbessert

Let‘s talk about...

Tabuthema Sex: Wie spricht man es in der Sprechstunde an?

Lesetipps
Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung

Schwindel kann viele unterschiedliche Ursachen haben. Mit den richtigen Fragen kommt man aber zur richtigen Diagnose.

© Andrey Popov / stock.adobe.com

BAM-Kongress 2025

Schwindel in der Hausarztpraxis: Fünf Fragen zur Ursachenfindung

Prophylaktische Maßnahmen sind der beste Weg, um Infektionen bei Krebspatientinnen und -patienten zu verhindern. Während und nach ihrer Chemotherapie sind sie dafür besonders anfällig. (Symbolbild)

© RFBSIP / stock.adobe.com

Vorbeugen ist besser als heilen

Wie die Infektionsprophylaxe bei Krebspatienten gelingt