Pandemiefolgen

Corona bremst Seepferdchen aus

Schon vor dem Beginn der Pandemie klagten Experten, dass viele Viertklässler noch nicht einmal das Seepferdchen haben. Jetzt fallen Kurse und Schulschwimmen aus. Der Frust ist groß: beim DSV, Eltern – und den Kindern.

Von Christina Sticht Veröffentlicht:
Schwimmbäder sind allerorts im November aufgrund des Corona-bedingten Lockdowns geschlossen.

Schwimmbäder sind allerorts im November aufgrund des Corona-bedingten Lockdowns geschlossen.

© Britta Pedersen / dpa

Hannover. Die Bäder sind dicht, Zehntausende Anfängerkurse fallen aus, auch das Schulschwimmen ist in vielen Bundesländern zum Erliegen gekommen. Erzeugt die Corona-Pandemie eine Generation von Nichtschwimmern? „Die haben wir bereits“, sagt Achim Wiese, Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Aber jetzt nehme die Schwimmfertigkeit noch einmal einen heftigen Knick nach unten. „Das ist eine dramatische Entwicklung.“ Nach einer DLRG-Studie aus dem Jahr 2017 sind bundesweit 59 Prozent der Mädchen und Jungen keine sicheren Schwimmer, wenn sie die Grundschule verlassen. Ihnen fehlt das Jugendschwimmabzeichen in Bronze, 23 Prozent haben noch nicht einmal das Seepferdchen.

Auch der Deutsche Schwimmverband (DSV) schlägt Alarm. Nach dem Teil-Lockdown müssten die Bäder den Vereinen mehr Zeit für Schwimmkurse einräumen, auch an den Wochenenden oder in den Ferien, fordert DSV-Vizepräsident Wolfgang Hein. Schon vor der Pandemie gab es für Seepferdchen- oder Bronze-Kurse vielerorts lange Wartelisten.

DSV: Kinder sind der Bewegung entwöhnt

Seit März fiel der Vereinssport auch in anderen Disziplinen wie Fußball, Judo oder Tanzen monatelang aus. Die Kinder seien von der Bewegung entwöhnt, sagt Hein. „Es ist bequem, zu Hause zu sitzen auf dem Sofa oder am Schreibtisch und ein bisschen rumzudaddeln. Sie dürfen ja auch nichts.“ Wichtig sei es, die ausgefallenen Kurse gründlich nachzuholen. „Es geht schließlich um den Schutz vor dem Ertrinkungstod.“ Auch die Politik sei gefordert, auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.

Seit dem 5. November ist das Schulschwimmen in Niedersachsen etwa komplett verboten. Laut einem Sprecher der Kultusministerkonferenz soll Schulschwimmen unter Wahrung der Abstands- und Hygieneregeln in den Ländern eigentlich stattfinden. Berlin etwa erlaubt noch Schwimmunterricht bei den Warnstufen Gelb und Orange in den Schulen.

Weil der öffentliche Badebetrieb verboten ist, hätten bundesweit viele Kommunen und Betreiber ihre Bäder komplett dicht gemacht, klagt Hein, der auch Präsident des Landesschwimmverbandes Niedersachsen ist. Dabei seien dem Deutschen Schwimmverband keine Corona-Ausbrüche bekannt, die man auf Schwimmbadbesuche zurückführe.

Keine Schwimmkurse seit März

Im Juni öffneten viele Bäder wieder ihren Betrieb mit strengen Hygienekonzepten und für weit weniger Besucher, die sich meist vorab anmelden mussten. Aus Vorsicht werden an vielen Orten aber keine Seepferdchen-Kurse angeboten. „Bei uns liegt das Anfängerschwimmen seit März komplett still“, erzählt Manfred Hellmann, der seit 40 Jahren Schwimmtrainer im hessischen Marburg ist. „Im Wasser lassen sich die Abstandsregeln bei den jüngsten Kindern nicht durchhalten.“ 170 Kinder stehen ihm zufolge allein beim VfL Marburg auf der Warteliste. „Es ist ein Riesen-Stau angelaufen.“ Das Schulschwimmen könne die Defizite nicht auffangen, betont der Schwimmtrainer. „Da haben Sie über 20 Kinder im Bad für 40, 45 Minuten.“

In Achim bei Bremen halten die Mädchen und Jungen, die im Januar den Seepferdchen-Kurs im Hallenbad starteten, immer noch nicht ihr Abzeichen in Händen. „Viele Kinder sollten genau an dem Tag, als das Bad zum zweiten Mal dicht gemacht wurde, ihr Seepferdchen machen“, erzählt die Mutter von Alina (6) und Melissa (5). Ihre ältere Tochter sei sehr enttäuscht. „Jetzt wurde ihr auch noch ihr letztes Hobby weggenommen.“ Die Jüngere sollte eigentlich im Kurs direkt nach Alina starten, doch jetzt muss sie im schlimmsten Fall anderthalb Jahre warten. „Mein Wunsch war eigentlich, dass die Kinder vor der Schule schwimmen lernen. Dann hat man auch im Urlaub und am Garten-Pool ein besseres Gefühl“, erzählt die 35-Jährige. „Das schaffen wir nicht mehr.“ (dpa)

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