Moulagensammlung

Das Marburger Gruselkabinett

Die Dermatologie in der Universitätsklinik Marburg verfügt über eine kleine, aber feine Moulagensammlung mit einer sehr speziellen Geschichte.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Dieses Stück zeigt die akute entzündliche Erkrankung der Haut an einer Hand.

Dieses Stück zeigt die akute entzündliche Erkrankung der Haut an einer Hand.

© Gesa Coordes

MARBURG. Am sogenannten "Tierfell-Naevus" sind sogar kleine Härchen eingearbeitet. "Badeanzug-Pigment-Mal" sagen die Dermatologen heute zu der sehr seltenen Krankheit, bei der sich ein riesiges Muttermal wie ein Kleidungsstück über einen ganzen Körperteil zieht.

In der Wachsmoulagen-Sammlung der Marburger Philipps-Universität gehört die gut 100 Jahre alte Nachbildung zu den bemerkenswertesten Ausstellungsstücken.

Ein Moulageur fertigte das Babybein nach Gipsabdrücken, um Medizinstudenten besseres Anschauungsmaterial zu bieten. Bis heute wird die Sammlung im Unterricht benutzt. Ihr Ursprung war jedoch viele Jahre unbekannt.

Erst 2010 deckte die Dermatologin Dr. Hannelore Mittag die ungewöhnliche Geschichte der Marburger Wachsmoulagen-Sammlung auf.

Beim Umzug der Hautklinik vom Lahntal auf die Lahnberge fiel der Oberärztin nämlich ein antiquarisches Buch über "Hautkrankheiten und Syphilis im Säuglings- und Kindesalter" in die Hände, geschrieben von Professor Eugen Galewsky (1864-1935) - mit Bildern aus der Marburger Wachsmoulagensammlung.

Ein ideales Lehrmittel

Dermatologin Hannelore Mittagsogenannten zeigt den "Tierfell-Naevus", eine sehr seltene Krankheit, die heute "Badeanzug-Pigment-Mal" heißt.

Dermatologin Hannelore Mittagsogenannten zeigt den "Tierfell-Naevus", eine sehr seltene Krankheit, die heute "Badeanzug-Pigment-Mal" heißt.

© Gesa Coordes

Mittag ging der Sache nach und fand heraus, dass die Marburger Wachsmoulagen alle aus der Kollektion des Dresdener Professors stammen, der die Reproduktionen sammelte: "Das war damals ganz aktuell und modern", erläutert Mittag.

"Professor Galewskys Gruselkabinett", nannten manche die Nachbildungen erkrankter Körperteile. Seit dem Internationalen Kongress für Hautkrankheiten in Paris galten Moulagen als die idealen Lehrmittel im dermatologischen Unterricht.

Doch Galewsky - ein Pionier bei der Behandlung der Schuppenflechte - war Jude. Mit Beginn des Nationalsozialismus hatte er zunehmend unter Anfeindungen zu leiden. 1935 starb er an einem Herzinfarkt - und ein kleiner Teil der Sammlung kam nach Marburg.

Ob die Hautklinik damals die Situation der jüdischen Familie ausnutzte, lässt sich heute nicht mehr klären. Doch der zuständige Marburger Professor Alfred Ruete (1882-1951) war selbst mit einer Jüdin verheiratet. Mittag vermutet, dass ihm die Wachsmoulagen von der Familie Galewskys angeboten wurden.

Heute ist nur noch ein kleiner Teil der Reproduktionen in zwei Vitrinen in der Hautklinik auf den Marburger Lahnbergen zu sehen. Ein großer Teil der Wachsmoulagen ist im Laufe der Jahre verloren gegangen. Dabei handelt es sich um Kunstwerke, so Mittag.

Sie stammen aus der Zeit vor Einführung von qualitativ hochwertigen Farbfotografien. Bis in die 1950er Jahre hinein wurden Moulagen in der Medizin verwendet, um Krankheiten plastisch nachzubilden. "Moulageur" war ein eigenständiger Beruf.

Nässende Wunden wurden durch glänzenden Lack oder Glassplitter dargestellt, Körperbehaarung und Schuppen eingearbeitet. Die Marburger Dermatologie hat zwei signierte Wachspräparate des berühmten Moulageurs Fritz Kolbow (1878-1946).

Dokumente der Medizingeschichte

Heute werden sie als wertvolle medizinhistorische Dokumente geschätzt, weil sie Krankheiten zeigen, die es kaum noch gibt - etwa die Spätfolgen der Syphilis, Hauttuberkulose oder Pocken. Dazu zählt auch die Formalin-Krankheit, ein Ekzem, das durch Formalin in hoher Konzentration verursacht wurde.

Wie dies die Fingernägel verformt, kann man an einem Marburger Präparat detailliert sehen. Nachgeahmt wurde auch das Gesicht eines jungen Mannes, der an schwerer Akne litt, Erythrodermie, schuppende Krankheiten sowie ein durch Medikamente ausgelöster Ausschlag an einer Hand.

Weitere Themen der Wachsmoulagen sind Hautreaktionen auf halogenhaltige Medikamente, Pilzkrankheiten, Dellwarzen, Reaktionen auf Pockenimpfungen, Entzündungen, Ekzeme, Tumore und Verhärtungen auf der Haut. Freilich ist der Erhaltungszustand der Modelle bedenklich: Die Kunstwerke müssten restauriert werden.

Die Wachsmoulagen-Sammlung ist wochentags von 8 bis 18 Uhr vor dem Konferenzraum der Klinik für Dermatologie auf den Lahnbergen zu besichtigen. Weitere Informationen: (06421) 5862959.

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