Widerstand im Dritten Reich

Dr. Adelaïde Hautval – ein Vorbild, bis heute

Eine französische Ärztin bot dem gefürchteten Josef Mengele die Stirn – und überlebte.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:
Dr. Adelaïde Hautval – ein Vorbild, bis heute

© privat

In den NS-Konzentrationslagern mussten manchmal inhaftierte ausländische Mediziner den SS-Ärzten bei ihren sogenannten medizinischen Experimenten und Versuchen helfen. Die französische Ärztin Dr. Adelaïde Hautval aber lehnte mehrmals solche Forderungen ab und hatte den Mut, dem berüchtigten Arzt Josef Mengele standzuhalten.

1941 übernimmt die 1906 im Elsass geborene Adelaide Hautval eine Stelle als Psychiaterin in einer südfranzösischen Klinik. Im Mai 1942 muss sie aus familiären Gründen eine lange Zugreise durch das besetzte Frankreich unternehmen. Während der Rückfahrt verliert die Bahn ihren Koffer, so dass sie die Demarkationslinie noch einmal durchqueren muss, in der Hoffnung, ihr Gepäck wieder zu finden.

Im Bahnhof Vierzon wird sie aber von deutschen Soldaten angehalten, die ihr die Weiterfahrt verbieten wollen, weil ihr Ausweis ausgelaufen ist. Es kommt zum Streit und die Lage eskaliert: Schließlich wird Hautval zu vier Wochen Haft verurteilt.

1943 nach Ausschwitz deportiert

Im Gefängnis sieht sie, wie deutsche Soldaten jüdische Frauen beschimpfen und prügeln. Hautval setzt sich für die Frauen ein. Das erschwert ihre Situation noch weiter. Als „Judenfreundin “ wird sie für eine längere Zeit in ein Lager bei Orléans geschickt, wo sie als Ärztin arbeiten muss.

Da sie erneut jüdische Frauen schützen will, wird sie am 24. Januar 1943 mit rund 2000 anderen Franzosen nach Auschwitz deportiert. Dort muss sie sich unter der Leitung von deutschen Ärzten um kranke Frauen kümmern. Sie versucht, mit gefälschten Laborergebnisse und Diagnosen viele Frauen vor den Gaskammern zu retten: Galten die Patientinnen als unheilbar krank, war ihr Schicksal besiegelt.

Hautval erklärte deshalb auch viele eigentlich hoffnungslos kranken Patienten für heilbar. Andererseits stufte sie viele Frauen als schwerkrank ein, damit diese sich mindestens für ein paar Tage im Lagerkrankenhaus erholen konnten, und dadurch eine weitere Überlebenschance bekamen. Hätten ihre Vorgesetzten diese Tricks entdeckt, hätte die Ärztin ihr Vorgehen mit dem Leben bezahlt.

Mengele blieb ratlos

Mehrmals wurde sie aufgefordert, an Sterilisationsversuchen bei Mädchen teilzunehmen, was sie ablehnte. Als der Chefarzt des Lagers, Dr. Josef Mengele, darüber informiert wurde, bestellte er sie persönlich ein. Erneut weigerte sie sich, solche Taten zu begehen sowie ihm bei seinen Versuchen mit Zwillingen zu assistieren.

In ihren erst nach ihrem Tod veröffentlichten Erinnerungen schrieb sie, dass sie als Psychiaterin genau wusste, wie weit sie das Gespräch mit dem „gefährlichen, verrückten und skrupellosen“ Mengele ohne Risiko führen könnte: wie viele Nazis war er eigentlich ein schwacher Mensch, der angesichts ihrer klaren Entscheidung plötzlich ratlos blieb. Später soll Mengele seinen Kollegen gesagt haben, dass er sie nicht zu etwas zwingen könne, was sie nicht tun wolle.

Leider, so Hautval, haben viele inhaftierte Ärzte in ähnlichen Situationen ihre Würde verloren, einfach um ihr eigenes Leben zu retten. „Da ich überzeugt war, bald zu sterben, hielt ich es für besonders wichtig, menschlich zu bleiben“, schrieb sie weiter.

Vorbild für ärztlichen Mut und Ethik

Im August 1944 wurde sie nach Ravensbrück verlegt. Auch dort rettete sie Frauen. Erst am 30. April 1945 wurde das Lager von der sowjetischen Armee befreit. Kurz danach schrieb sie einen ausführlichen Bericht über die medizinischen Greueltaten gegen Frauen in Auschwitz, später war sie dreimal Zeugin bei Prozessen gegen NS-Ärzte. Sie gab nach dem Krieg die Psychiatrie auf und wurde Schulärztin.

Dr. Adelaïde Hautval

  • Geboren am 1. Januar 1906 in Le Hohwald im Elsass
  • Medizinstudium in Straßburg, Facharztweiterbildung zur Psychiaterin
  • April 1942 Verhaftung wegen illegalen Grenzübertritts, Januar 1943 Deportation nach Auschwitz,
  • 30. April 1945 im KZ Ravensbrück wird sie von der Roten Armee befreit
Danach leitete sie bis zu ihrer Pensionierung ein regionales schulärztliches Amt. Darüber hinaus engagierte sie sich stark in einem evangelischen Verein. Als Vorbild für ärztlichen Mut und Ethik wurde sie mit mehreren Auszeichnungen geehrt, sowie vom Staat Israel 1965 zur „Gerechten unter den Völkern “ erklärt. Da sie an Parkinson litt, entschied sie sich 1988 im Alter von 82 Jahren für den Freitod.

Heute erinnert unter anderen eine nach ihr benannte Straße unweit des Straßburger Krankenhauses an die Ärztin. Vor einigen Jahren wollte der Straßburger Hämatologe Professor Georges Hauptmann die Erinnerung an die mutige Ärztin wieder lebendiger machen. Er recherchierte und veröffentlichte 2017 eine ausführliche Biographie über sie. 2019 organisierte er eine Ausstellung in der Straßburger Universität, die derzeit als Wanderausstellung in rund 30 elsässischen Oberschulen gezeigt wird.

Hautval gilt als ein Vorbild. Ihre Erfahrung und ihr Lebenslauf seien in der heutigen Zeit besonders wichtig, so Hautpmann.

Ihn selbst hat sein Mentor und Vorgänger im Hämatologischen Institut, Professor Robert Waitz geprägt, der selbst als junger Arzt die Konzentrationslager überlebte.

Mehr Infos zum Leben der Ärztin Adelaïde Hautval finden sich auch auf der Gedenkseite Yad Vashem

Mehr zum Thema

Interview

„Ideologie abseits der ärztlichen Werteskala“

Führerschule der Deutschen Ärzteschaft

Wo Ärzte die Ideologie der Nazis lernten

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Koordinierende Versorgung als Ziel

Long-COVID-Richtlinie in Kraft - jetzt fehlt noch die Vergütung

Lesetipps