"Eine treffliche Rednerin und Lehrerin"

Als erste Professorin für Pädiatrie ist Selma Meyer 50 Jahre nach ihrem Tod Namensgeberin für einen Dissertationspreis und ein Mentoren-Programm.

Von Ruth Pons Veröffentlicht:
Vorkämpferin: Selma Meyer

Vorkämpferin: Selma Meyer

© Foto: Institut für Geschichte der Medizin, Berlin/DGKJ

FRANKFURT. Eigentlich hatte Selma Meyer Musiklehrerin werden sollen. Nach dem Besuch einer höheren Mädchenschule absolvierte sie eine Ausbildung am Sternschen Konservatorium in Berlin und bestand dort 1908 ihr Examen. Der Lebensweg der jüdischen Kaufmannstochter schien vorgezeichnet. Doch im gleichen Jahr wurden in Preußen erstmals Frauen zum Studium zugelassen und die damals 27-Jährige zögerte nicht lange.

Verzicht auf Ehe und Familie für den Arzt-Beruf

Sie holte ihr Abitur nach, studierte Medizin. "Über die Prognose der Geburtslähmung des Plexus brachialis", lautete der Titel der Arbeit, mit der die eifrige Studentin am 4. Juli 1916 nach zwölf Semestern promovierte. Ein halbes Jahr später erhielt Selma Meyer ihre Approbation. Sie absolvierte ihr praktisches Jahr an der Berliner Charité und wechselte danach an die Düsseldorfer Kinderklinik von Professor Arthur Schlossmann, wo sie 1921 zur Oberärztin der Infektionsklinik ernannt wurde.

Am 27. Januar 1922 habilitierte Meyer als erste Frau im Fach Pädiatrie. Im November 1927 wurde sie zur außerordentlichen Professorin für Kinderheilkunde an der Medizinischen Akademie Düsseldorf ernannt. Ihr wissenschaftliches Arbeitsgebiet umfasste die Infektions- und Immunitätslehre im Kindesalter, Blutmorphologie und soziale Pädiatrie.

Selma Meyer verzichtete auf Ehe und Familie, um sich ganz ihrem Beruf widmen zu können. Neben ihrer Arbeit in der Klinik übernahm sie die Leitung des Auguste-Victoria-Hauses für Säuglinge und Kleinkinder und war Dozentin der Westdeutschen Sozialhygienischen Akademie Düsseldorf und der Niederrheinischen Frauenakademie. Mit zahlreichen Vorträgen und Publikationen insbesondere auf dem Gebiet des Scharlachs erwarb sich die Ärztin internationale Anerkennung. Sie besitze ein "hervorragendes Lehrtalent", sei "eine treffliche, allgemein anerkannte Rednerin" und verstehe es, die unter ihr arbeitenden Ärzte zu wissenschaftlicher Tätigkeit anzuleiten, bescheinigte ihr Professor Schlossmann. 1929 eröffnete Selma Meyer eine eigene Praxis für Kinderkrankheiten und Röntgendiagnostik in Düsseldorf. Sie unterrichtete aber weiterhin auch an der Akademie.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die jüdische Ärztin jedoch jäh aus ihrer Arbeit gerissen: Bereits im September 1933 musste sie ihre Lehrtätigkeit an der Akademie beenden. Fortan durfte sie nur noch jüdische Patienten behandeln. Von 1934 bis 1938 arbeitete sie als Schulärztin der Jüdischen Gemeinde Düsseldorfs. Durch die "Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz" wurde ihr schließlich wie allen jüdischen Ärzten die Approbation entzogen. Und sie musste in ein "Judenhaus" umziehen.

Nach einer erneuten Zwangsumsiedlung beantragte Selma Meyer Anfang 1939 die Ausreise. Nahezu mittellos emigrierte sie mit einem der letzten Transporte nach England und ein Jahr später in die USA.

Lizenz zur Eröffnung einer Kinderarztpraxis in den USA

Mit 58 Jahren legte sie dort das amerikanische Staatsexamen ab und erhielt die Lizenz zur Eröffnung einer Kinderarztpraxis. Nach Deutschland kehrte sie nicht wieder zurück. Nach fast zwanzig Jahren in New York starb sie 1958 plötzlich und unerwartet im Alter von 77 Jahren. Erst kurz zuvor war ihr eine Wiedergutmachungszahlung aus Deutschland zugebilligt worden.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin stiftete 2007 einen Dissertationspreis, der in diesem Jahr erstmals vergeben wurde. Für das Jahr 2009 laufen derzeit die Ausschreibungen. Benannt nach der ersten deutschen Professorin für Kinderheilkunde würdigt er "die besondere Lebensleistung und das Schicksal Selma Meyers".

Die Ärztin ist zudem Namenspatronin des Selma-Meyer-Mentoring-Programms, welches an der der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zur Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses ins Leben gerufen wurde.

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