Der Versuch einer DGIM-Aufarbeitung

Feinsinnige Geister und Antisemiten

Ein neues Buch beleuchtet die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin während des Nationalsozialismus. Am Fallbeispiel Emil von Bergmann erkennen Leser, wie zwiegespalten die DGIM-Mitglieder waren.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Der damalige Reichsärzteführer Gerhard Wagner bei der Eröffnung des 53. Kongresses der DGIM 1935.

Der damalige Reichsärzteführer Gerhard Wagner bei der Eröffnung des 53. Kongresses der DGIM 1935.

© DGIM Wiesbaden

"In der DGIM waren es gerade Mitglieder ohne gesellschaftsinternes Amt, die in der NS-Zeit Zeichen der Menschlichkeit setzten." Das schreiben Privatdozent Dr. Ralf Forsbach und Professor Dr. Hans-Georg Hofer in ihrer Dokumentation "Internisten in Diktatur und junger Demokratie", in der sie die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) zwischen 1933 und 1970 aufarbeiten.

Und weiter: "Andere wird man heute vorbehaltlos zu den Tätern rechnen. Fast immer aber bestätigt sich bei der biographischen Skizzierung das Bild von den Grauschattierungen der Geschichte."

Im Nebeneinander der Lebensbeschreibungen, bilanzieren die beiden Mitarbeiter des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, werde zudem deutlich, "dass sich der Einzelne entscheiden konnte, inwieweit er der Diktatur zu folgen bereit war".

Historiker und Biografen haben den Wahrheitsgehalt dieser These hinlänglich belegt. Auch in der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin gab es Mitglieder, die die Ideologie der Nationalsozialisten verinnerlichten oder guthießen, sich arrangierten oder anpassten, sich distanzierten oder Widerstand leisteten, die hin- oder wegsahen, gingen oder blieben.

Fanatiker, Karrieristen, Feiglinge, Opportunisten, Aufrechte, Helfer, Beschützer, Retter und Helden. Bei manchen ist die Zuordnung nicht eindeutig, da ihre Biografie Brüche aufweist oder sich die Bewertung ihrer Verdienste und Verfehlungen im Laufe der Zeit nuancierte.

Bergmann: Prototyp des deutschen Arztes

Gustav von Bergmann ist so einer, Namensgeber der von 1994 bis 2010 von der DGIM verliehenen höchsten Verdienstmedaille, Sohn des berühmten Chirurgen Ernst von Bergmann, den die Bundesärztekammer seit 1962 mit einer nach ihm benannten Plakette ehrt, und Vater des Widerstandskämpfers Fritz von Bergmann, Mitglied des Berliner Retter-Netzwerks "Onkel Emil" und späterer Kanzler der Freien Universität Berlin.

Von den einen als weltmännisch, liebenswürdig und geistreich gepriesen, haben ihm andere nach dem Krieg die aktive Vertreibung nichtarischer Kollegen vorgeworfen. In gewisser Hinsicht erscheint Gustav von Bergmann, bezogen auf die Zeit des Nationalsozialismus, als der Prototyp des deutschen Arztes.

Franz August Richard Gustav von Bergmann kommt an Heiligabend 1878 in Würzburg zur Welt. Als Sohn eines bedeutenden Arztes scheint seine Karriere vorgezeichnet. Er studiert Medizin, zunächst in Berlin, später in München, Bonn und Straßburg.

Nach seiner 1903 erfolgten Promotion arbeitet er von 1906 eine Zeit lang bei Paul Ehrlich in Frankfurt am Main, wechselt dann nach Paris und Berlin, wo er sich 1908 habilitiert. Im Anschluss an verschiedene Lehrtätigkeiten in Marburg und Frankfurt nimmt Gustav von Bergmann 1927 eine Professur der Charité in Berlin an und wird Direktor der II. Medizinischen Universitätsklinik.

Aus eigenen Betrachtungen, dokumentiert in seiner Autobiografie "Rückschau" (1953), sowie Erinnerungen von Zeitgenossen zeichnen Forsbach und Hofer das Porträt eines widersprüchlichen Charakters. "Die Memoiren des großen Arztes", wie es unbescheiden in Gustav von Bergmanns "Rückschau" heißt, offenbaren einen feinsinnigen Geist, der gerne ins Theater geht und die Burschenschaften verschmäht, weil er nicht "aus dem Genuss von Alkohol eine Weltanschauung" machen möchte.

Unfallchirurg Peter Kohnstamm, Sohn des jüdischen Psychiaters und Sanatorium-Gründers Oskar Kohnstamm, erlebte Gustav von Bergmann dagegen als Antisemiten. Kohnstamm war eng mit von Bergmanns Sohn Fritz befreundet.

Viele Jahre vor der Machtergreifung Hitlers sei er zugegen gewesen, als Fritz und sein Bruder Ernst ihren Vater baten, im elterlichen Haus eine Party feiern zu dürfen. Seine Zustimmung habe Gustav von Bergmann an eine Bedingung geknüpft, wie sich Kohnstamm erinnert: "Die Jungen sollten aufpassen, dass nicht mehr als dreiunddreißig Prozent ihrer Gäste Juden waren."

Entlassung aller Juden

Bei seinem Antritt in Berlin 1927 galt Gustav von Bergmann bei Kollegen als liberal. 1931/32 wurde er Präsident der DGIM und 1932 in die Gelehrtenakademie Leopoldina gewählt. Anders als viele seiner Kollegen trat er nach der Machtergreifung Hitlers nicht in die NSDAP ein, setzte als Prodekan der Berliner Charité aber die Entlassung aller Juden um.

Im Protokoll der Fakultätssitzung vom 28. März 1933 schreibt Gustav von Bergmann von sich selbst: "Der Prodekan macht Mitteilung, dass er allen nicht besoldeten Kräften seiner Klinik, soweit sie jüdischer Abstimmung sind, dienstlich mitgeteilt hat, dass sie am Freitag, 31. März 1933, definitiv auszuscheiden hätten."

In den folgenden Jahren trat von Bergmanns Gesinnung schließlich deutlich zutage. "Es ist kein Zufall", schrieb er 1938 in der "Deutschen Medizinischen Wochenschrift", "wenn wir durch die nationalsozialistische Bewegung nicht nur in den Bauten, die wieder wie durch Schinkel einer klassizistischen Richtung folgen, sondern auch im leidenschaftlichen Streben um die Volksgesundheit zum klassischen Ideal zurückgeführt werden, der harmonischen Ausbildung von Körper, Seele und Geist."

Arzt als Gesellschaftsbauer?

An anderer Stelle fabuliert er: "Dem deutschen Arzt sind größere Ziele als in der Vergangenheit gesteckt: ein neues Geschlecht soll erstarkt und gesund erwachsen."

Gustav von Bergmann fügte sich den Machthabern jedoch nicht bloß, sondern stellte auch seine wissenschaftliche Expertise in den Dienst einer menschenverachtenden Ideologie. Im Kriegsjahr 1939 beispielsweise beteiligte er sich an einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das die "Möglichkeiten der Leistungssteigerung bei körperlicher Arbeit unter Sauerstoffmangel" untersuchte. 1942 wurde er von Hitler persönlich zum Mitglied des Wissenschaftlichen Senats des Heeressanitätswesens ernannt.

Nach dem Krieg leitete Gustav von Bergmann bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1953 die II. Medizinische Klinik in München. Im selben Jahr erhielt er das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Zwei Jahre später starb Gustav von Bergmann im Alter von 76 Jahren in München.

"Schädlich und unerwünscht"

Ungeachtet seiner Rolle im NS-Staat benannte die DGIM 1994 ihre höchste Auszeichnung nach ihm. Erst 2013 wurde die Gustav-von-Bergmann-Plakette durch die Leopold-Lichtwitz-Medaille ersetzt.

Damit leistete die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin auf einen Schlag eine doppelte Wiedergutmachung: Sie stellte sich einerseits dem belasteten Erbe des DGIM-Präsidenten von 1931/32 und rückte zugleich die Lebensleistung seines Nachfolgers ins rechte Licht.

Leopold Lichtwitz, DGIM-Präsident von 1933, wurde von den Nazis aufgrund seiner jüdischen Herkunft aus dem Amt gedrängt und vom Virchow-Krankenhaus entlassen. Noch im selben Jahr gelang ihm die Flucht in die USA.

Während man Lichtwitz an der renommierten Columbia University zum Professor für klinische Medizin ernannte, setzte man seine Schriften daheim in Deutschland auf die "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums", bevor man sie mit den Büchern Döblins, Manns und Kästners verbrannte.

Ralf Forsbach und Hans-Georg Hofer

Internisten in Diktatur und junger Demokratie: Die Deutsche Gesellschaft für innere Medizin 1933-1970.

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft,

Berlin 2018. 471 Seiten.

84,95 Euro.

ISBN: 978-3954663736.

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