Bundesamt für Soziale Sicherung
Aufsicht: Krankenkassen reden höhere Zusatzbeiträge schön
Die Krankenkassen-Aufsicht moniert in ihrem Jahresbericht Tricksereien bei der Information über steigende Zusatzbeiträge. Der Kampf gegen Upcoding bereitet der Behörde viel Arbeit. Die Erfolge sind überschaubar.
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Steigende Zusatzbeiträge sind eine unschöne Nachricht für Krankenkassen-Mitglieder. Manche Kasse versucht diese schlechte Botschaft schönzureden, moniert das Bundesamt für Soziale Sicherung in seinem Jahresbericht.
© Sascha Steinach/ZB/picture alliance
Bonn/Berlin. Einige Krankenkassen tricksen weiterhin, wenn sie ihre Mitglieder über steigende Zusatzbeiträge informieren müssen.Das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS), das 58 der insgesamt 94 gesetzlichen Krankenkassen überwacht, verweist in seinem am Donnerstag veröffentlichten Jahresbericht 2024 auf Ausweichstrategien:
„Vielfach relativieren die Krankenkassen die Anhebung des Zusatzbeitrages mit werblichen Aussagen oder verstecken dei Beitragssatzanhebungen im Kleingedruckten“, heißt es in dem Bericht.
Schlechte Botschaft geschönt verpackt
Die Behörde drängt die Krankenkassen seit Jahren bei diesem Thema zur Rechtskonformität: Beschweren sich Mitglieder von auffälligen Kassen, verschiebe sich bei unzureichender Information der Versicherten die Kündigungsfrist nach hinten, heißt es im Bericht.
Schlechte Botschaft in Form steigender Zusatzbeiträge mussten praktisch Kassen ihren Mitgliedern überbringen. 22 von ihnen haben im Vorjahr unterjährig den Obolus erhöht, in fünf Fällen war dies sogar zweimal nötig.
Ende des Vorjahres war das Finanzvermögen, also Betriebsmittel und Rücklagen, so stark geschrumpft, dass nur noch die Leistungsausgaben eines Tages damit gedeckt werden konnten.
Wiederauffüllen der Rücklagen: eine Herkulesaufgabe
Im laufenden Jahr sind die Kassen gehalten, ihre Rücklagen wieder aufzufüllen. Laut den Haushaltsplänen der 58 bundesunmittelbaren Kassen ist demnach ein Vermögensaufbau in Höhe von 3,6 Milliarden Euro vorgesehen – und hierbei ist insbesondere das AOK-System mit knapp 37 Prozent der Versicherten noch gar nicht berücksichtigt.
Zum Vergleich: Zur Jahresmitte haben alle gesetzlichen Kassen nach vorläufigen Zahlen einen Überschuss von knapp 2,6 Milliarden Euro erzielt – doch die Leistungsausgaben steigen vor allem bei den großen Kostenposten teilweise zweistellig. Ob es den Kassen somit gelingt, bis Ende dieses Jahres wieder eine solide Rücklage aufzubauen, ist längst nicht ausgemacht.
Ein wichtiges Aufgabenfeld des BAS bleibt der Risikostrukturausgleich (RSA) – dieser hat sich 2024 einmal mehr als Kampfzone zwischen der Behörde und den Kassen erwiesen. Diese dürfen nicht auf die von Ärztinnen und Ärzten gemeldeten Morbiditätsdaten „einwirken“, es gilt ein striktes Verbot für das „Upcoding“ dieser Daten.
Hohe Kreativität der Kassen beim Upcoding
Ziel ist es, durch die risikogerechte Verteilung der Gelder des Gesundheitsfonds einen fairen Wettbewerb im GKV-System sicherzustellen. Noch im Januar hatte die Behörde via Rundschreiben die Kassen ermahnt, das Verbot der Beratung von Vertragsärzten in Fragen der Wirtschaftlichkeit zu beachten. Hintergrund war ein externer Dienstleister, der für mehrere Kassen das Controlling der Arzneimittelausgaben managt.
Wirkung des Risikostrukturausgleichs
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Doch bisher gelingt es dem BAS offenbar nicht, bei dem komplexen System aus kassenübergreifenden Auffälligkeits- und Einzelfallprüfungen den Sack zuzubinden: Selbst für die Jahre ab 2013 konnte die Behörde noch keine sogenannten Korrekturbeträge zu Lasten betroffener Kassen eintreiben, obwohl sie „zahlreiche Rechtsverstöße“ festgestellt hat.
Mittels Korrekturbeträgen, die auffällige Kassen an den Gesundheitsfonds abführen müssen, sollen die Auswirkungen unfairer Kodierpraktiken eigentlich egalisiert werden.
Doch in der Praxis waren Krankenkassen außerordentlich kreativ in ihren Versuchen, Morbiditätsdaten zu ihren Gunsten zu frisieren. Da wird beispielsweise unter Berufung auf Abrechnungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten versucht, Diagnosedaten „nachzuerfassen“. Oder aber Kassen leisten – unzulässige – „Kodierberatung“, inklusive konkreter Vorschläge, wie Ärzte Diagnosedaten „besser“ übermitteln können.
Neue Bürokratie durch Risikopool
Wie umstritten die Praktiken rund um den Risikostrukturausgleich sind, zeigt auch die Behörden-Bilanz bei neuen Gerichtsverfahren: Von 58 Gerichtsverfahren, die im Vorjahr neu beim BAS eingegangen sind, entfallen 16 auf das Gebiet des RSA.
Der Wunsch nach Einzelfallgerechtigkeit im RSA gebiert konstant neue Bürokratie und Prüfarbeit im BAS, macht der Jahresbericht deutlich. Ein Beispiel ist der sogenannte Risikopool, der vom Bundestag mit dem Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz (FKG) ab 2021 installiert wurde. Durch ihn sollen die Ausgaben für besonders „teure“ Versicherte umverteilt werden. 2024 betrug der Schwellenwert, ab dem der Risikopool greift, 107.083 Euro.
Exklusiv Krankenkassen-Finanzen
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GKV-weit sind im Vorjahr über diesen Ausgleichsmechanismus 7,94 Milliarden Euro umverteilt worden. Davon entfielen 3,06 Milliarden Euro allein auf das AOK-System und 3,09 Milliarden Euro auf die Ersatzkassen.
Nunmehr erweist sich die Prüfung der Datenmeldungen als hoch personalintensive Aufgabe: Pro Tag konnte ein Prüfer bislang nur die Daten von zwei Versicherten nachhalten, heißt es im Bericht.
Mittlerweile wurden Möglichkeiten für eine „maschinelle Prüfunterstützung“ ausgelotet, die das Verfahren beschleunigen sollen. Vom BAS werden sechs Ersatz-, vier Innungs- und 46 Betriebskrankenkassen, die Knappschaft sowie weitere Versicherungsträger und Arbeitsgemeinschaften überwacht. (fst)