Menschen mit Demenz

"Für Kliniken eine Klientel der Zukunft"

Die Krankenhäuser sind nicht ausreichend auf demenziell erkrankte Patienten eingestellt. Das meint Dr. Manfred Gogol, Chefarzt der Geriatrie im Krankenhaus Lindenbrunn in Coppenbrügge bei Hameln. Entweder "wir schaffen die Wende", meint Gogol im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" - oder es bleibe bei den "manchmal katastrophalen Bedingungen".

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Gogol, warum sind die Krankenhäuser in der Regel nicht auf demenziell erkrankte Patienten eingestellt?

Dr. Manfred Gogol

Der Internist und Geriater wurde 1957 geboren

Chefarzt der Geriatrieim Coppenbrügger Krankenhaus Lindenbrunn und Lehrbeauftragter an der Medizinischen Hochschule Hannover

Vizepräsident der Alzheimergesellschaft Niedersachsen

Dr. Manfred Gogol: Nun, es gibt ja einige Krankenhäuser als auch Pflegeheime mit Spezialstationen, wenn auch wenige. Was aber Tönebön am See konzeptionell mit Garten und Villen und viel Platz den Bewohnern an Möglichkeiten gibt, können wir natürlich nicht leisten.

Wenn bei uns ein demenziell Erkrankter die Station verlassen will, dann müssen wir ihn quasi wieder einfangen - schon wegen der Beaufsichtigungspflicht.

Was können Krankenhäuser tun, um die Situation ihrer Demenzpatienten zu verbessern?

Gogol: Wir haben von der Niedersächsischen Alzheimergesellschaft ein spezielles Schulungsprogramm für alle Angestellten in einem Krankenhaus entwickelt. Es besteht zunächst aus einer Basisschulung für alle Mitarbeiter vom Telefonisten bis zum Verwaltungschef.

Wie sieht Demenz aus? Was ist das eigentlich für eine Krankheit? Welche Anforderungen stellt sie ans Krankenhaus? So wissen wir, dass dies Menschen mit einer bestimmten Behinderung sind, die eine besondere Behandlung brauchen.

Und in einem zweiten Teil bieten wir den Krankenhäusern an, uns ihre Mitarbeiter zur Schulung zu schicken. Denn immer noch verkennen die Verwaltungen, dass sie einen unmittelbaren Benefit davon haben, Demenzpatienten angemessen zu betreuen.

Denn sie kosten unmittelbar mehr Geld, sie haben mehr Komplikationen, wenn sie nicht richtig geführt werden und nicht im richtigen Setting untergebracht werden. Sie haben dann auch mehr Infektionen, eine längere Verweildauer und eine höhere Sterblichkeit. Die Krankenhäuser sparen bares Geld, wenn sie ihre Abläufe anpassen würden.

Wie wird das Angebot angenommen?

Gogol: Es ist nicht teuer, aber es wird kaum angenommen. Die Verwaltungen haben noch nicht verstanden.

Warum nicht?

Gogol: Wir behindern uns selbst mit kulturellen Bildern vom alten Menschen. Krank, grauhaarig und faltig, ausgemergelt, langsam und umständlich klauben sie an der Supermarktkasse ihr Kleingeld aus dem Portemonnaie und so weiter. Solche, meistens unbewussten Bilder, hindern uns, genauer hinzusehen, wenn wir alte und vielleicht demenziell Erkrankte im Haus haben.

Wir brauchen auch in der Diagnose vertieftes Verständnis: Hat dieser Mensch vielleicht ein Delir? Oder eine Alzheimer-Erkrankung, auf die ein Delir aufsetzt? Die ganzen Behandlungsregime müssten dann anders werden. Das heißt, wir müssen unsere Behandlungsanläufe auf Patienten, die sich nicht oder weniger als kognitive Gesunde an die Abläufe im Krankenhaus einstellen können, anpassen.

Wenn wir zum Beispiel jemanden in der Radiologieabteilung warten lassen, der das, was um ihn herum passiert nicht begreift, dann fördern wir Unruhe und Desorientierung, statt sie durch strukturelle und ablauftechnische Verbesserungen zu reduzieren. Dabei sind die Alten und die Demenzpatienten die Klientel der Zukunft.

Wir müssen uns auf sie einstellen. Die so genannten jungen Alten und jüngere Patienten überhaupt werden immer mehr teilstationär oder ambulant behandelt werden. Die sehr alten und sehr Kranken und demenziell Erkrankten werden mittelfristig immer häufiger in unseren Kliniken sein.

Welche Best-Practice-Beispiele kennen Sie?

Gogol: In der Tat müssen wir weltweit nach Projekten suchen, die uns zeigen, wie wir besser mit den alten Patienten umgehen können. In Ontario (Kanada) gibt es zum Beispiel so genannte "Age-friendly-Hospitals", wo die Patienten aktiviert werden, möglichst wenig im Bett liegen. Wo gezielt auf Ernährung geachtet wird.

Wo Abläufe auf den Patienten, seine Bedürfnisse und Einschränkungen ausgerichtet sind. In England gibt es Projekte, in dem Patienten vor Operationen zwei Wochen Krankengymnastik erhalten und durch solche Kurzzeitinterventionen kürzere und bessere stationäre Verläufe zeigen.

Und für demenziell Erkrankte?

Gogol: In Deutschland gibt es gleichfalls eine Reihe von Best practice-Beispielen. So zum Beispiel in der Anästhesie im Franziskus-Hospital in Münster. Weitere Beispiele findet man etwa auf der Homepage der Niedersächsischen Alzheimergesellschaft.

Im Bereich der Geriatrie gibt es aktuell mehr als 20 Spezialstationen, die somatische Medizin in einem Setting, dass speziell auf kognitiv eingeschränkte Patienten fokussiert, anbieteen.

Wenn Sie in die Glaskugel blicken - wie sieht die Versorgung demenziell Erkrankter in unseren Krankenhäusern in 20 Jahren aus?

Gogol: Entweder, wir schaffen die Wende und es wird pflegerisch und medizinisch in Heimen und Kliniken zehn bis 100 Mal besser als jetzt. Oder wir bleiben so behäbig wie jetzt, und dann bleibt es bei den schlimmen, manchmal katastrophalen Bedingungen.

Wir stehen zwischen der Zementierung der traditionellen Strukturen und der Anpassung an die neuen Anforderungen. Ich bin nicht ganz pessimistisch.

Lesen Sie dazu auch: Demenzdorf: Ob Tönebön oder Hameln, Hauptsache Italien!

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