Gesundheitspolitik à la EU - da schiebt der Lissabon-Vertrag der Kommission Riegel vor

Noch haben nicht alle Staats- und Regierungschefs den EU-Vertrag von Lissabon unterschrieben. Ist das Grundlagenwerk aber in Kraft, dann wird die Macht der EU, eine eigenständige Gesundheitspolitik zu betreiben, begrenzt.

Von Thomas Friedrich Veröffentlicht:
Zwei, die zusammenpassen müssen: Der Lissabon-Vertrag stärkt die Macht der nationalen Parlamente im Gesetzgebungsprozess.

Zwei, die zusammenpassen müssen: Der Lissabon-Vertrag stärkt die Macht der nationalen Parlamente im Gesetzgebungsprozess.

© Foto: dpa

Im zweiten Anlauf haben die Iren mit ihrem Ja zum EU-Reformvertrag (EUV) von Lissabon den Weg freigemacht. Polen hat ebenso grünes Licht signalisiert und der europakritische tschechische Präsident Vaclav Klauss wird die Ratifizierung nicht mehr lange aufhalten können.

Auch mit dem neuen Lissabon-Vertrag bleibt die Sozial- und Gesundheitspolitik eine Kernaufgabe des Nationalstaates. Der Vertrag räumt den nationalen Parlamenten künftig stärkere Mitwirkungsrechte ein und die ärztliche Freiheit bleibt in der EU unangetastet.

Europäisches Parlament gehört zu den Gewinnern

Im Gesetzgebungsverfahren zwischen der EU-Kommission (alleiniges Gesetzesinitiativrecht) sowie dem Ministerrat (Vertretung der Mitgliedstaaten) und dem Europäischen Parlament (EP) gehören das EP und die nationalen Parlamente zu den Gewinnern. Sie erhalten im Vertragstext (Artikel 5 EUV in Verbindung mit dem Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität) eine machtvolle Waffe, gegen EU-Gesetzesvorhaben frühzeitig vorzugehen, wenn sie glauben, dass die Kommission ihre Zuständigkeit überschreitet. Bisher wurde der Bundesrat als Länderkammer erst zum Ende des Verfahrens mitbeteiligt.

Damit sie dieses Recht wahrnehmen können, muss die EU-Kommission ihnen künftig Gesetzgebungsakte und geänderte Richtlinienentwürfe direkt zuleiten. Die nationalen Parlamente und der Bundesrat können dann binnen acht Wochen Einspruch erheben.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte unlängst in seinem Beschluss zu den Lissabon-Begleitgesetzen, dass das Sozialstaatsgebot als Kernaufgabe des Staates angesehen wird. Diese nationale Zuständigkeit dürfe nach wie vor nur durch ausdrückliche Einzelermächtigung auf die Europäische Union übertragen werden.

Für das Gesundheitswesen in Deutschland bedeutet dies, dass in vielen Bereichen die Kompetenz den Ländern zufällt und die EU nur nachrangig und eingeschränkt tätig werden darf.

So kann der Bundesrat beispielsweise ohne die Mitwirkung der Bundesregierung prüfen lassen kann, ob etwa die von der EU-Kommission geplanten Europäischen Referenzzentren für seltene Krankheiten nicht in den Sicherstellungsauftrag der Länder eingreift.

Bisher hatte sich die EU-Kommission die sogenannte "Offene Methode der Koordinierung" als Einfallstor in nationale Gesetzgebung zu eigen gemacht. Durch den Vergleich der Gesundheitssysteme hat Brüssel immer wieder versucht, in die Strukturen und Abläufe einzugreifen, um durch Reformen eine stärkere Harmonisierung der Gesundheitssysteme in der EU zu erreichen. Dies wird der EU-Kommission künftig nur noch sehr begrenzt möglich sein.

Mobilität der freien Berufe wird ausgeweitet

Nur bei der Formulierung von Behandlungs- und Qualitätsstandards auf der europäischen Ebene im Bereiche der Organe, Blut und Blutprodukte sowie Arzneimittel- und Medizinprodukte behält Brüssel Gestaltungsspielraum. Auch das neue Recht der Kommission, Projekte zur Bekämpfung grenzüberschreitender Krankheiten und zum Schutz der Gesundheit vor Tabakkonsum und Alkoholmissbrauch zu fördern, wird die nationalen Parlamente nicht einschränken. Hierfür sorgt auch Absatz 7 des Lissabon-Vertrags, der "die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel" in der Verantwortung der Mitgliedstaaten belässt.

Der Lissabon-Vertrag schafft mehr Klarheit für die Dienstleistungsmobilität der freien Berufe. Die bisher nur für Arbeitnehmer geltenden Freizügigkeitsregeln werden auf die freien Berufe wie Ärzte und Anwälte ausgeweitet. In der sogenannten Wanderarbeitnehmerverordnung werden künftig auch die Selbstständigen einbezogen. Damit muss die EU einen Rechtsrahmen schaffen, der es Ärzten erlaubt, ihre obligatorischen Versorgungssysteme bei der Niederlassung oder der vorübergehenden Arbeit in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt zu bekommen. Wie die EU-Kommission diesen neuen Rechtsrahmen bei den angekündigten Richtlinien für Patientenrechte und das Grünbuch über Gesundheitsberufe in Europa ausgestalten, gilt als erster Lackmustest für das neue Europa im Zeichen des Lissabon-Vertrags. Dabei wird bei den Abstimmungen im EU-Gesundheitsministerrat künftig die noch geltende Einstimmigkeit durch die qualifizierte Mehrheit ersetzt.

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