Plötzlicher Herztod

Ist ein Screening bei Sportlern überhaupt sinnvoll?

Ein generelles kardiologisches Screening von Sportlern lehnen belgische Forscher wegen möglicher negativer Folgen ab. Deutsche Experten sind jedoch von dessen Nutzen überzeugt.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Belastungs-EKG: Mit der Zusatzqualifikation „Sportkardiologische Untersuchungen“ der DGK sollen sich Ärzte künftig spezialisieren können.

Belastungs-EKG: Mit der Zusatzqualifikation „Sportkardiologische Untersuchungen“ der DGK sollen sich Ärzte künftig spezialisieren können.

© Fuse / Thinkstock

NEU-ISENBURG. Über das kardiologische Screening bei Sportlern wurde in letzter Zeit kontrovers diskutiert. Anlass ist ein Review von belgischen Wissenschaftlern um Dr. Hans Van Brabandt. Die Forscher kommen nach einer Risiko-Nutzen-Abwägung zu dem Schluss, dass junge Sportler vielleicht besser nicht an solchen Programmen teilnehmen sollten (BMJ 2016; 353: i1156).

Dass Screeningprogramme die Zahl plötzlicher Herztode bei jungen Sportlern tatsächlich reduzieren können, sei ohne eindeutige Evidenz. Ein Rückgang der Herztod-Inzidenz in der italienischen Region Veneto könne auch andere Ursachen als das dort zu Studienbeginn etablierte Screeningprogramm haben, etwa verbesserte Wiederbelebungsmaßnahmen, meinen Brabandt und Kollegen.

Zudem sei die anfänglich festgelegte Inzidenz des plötzlichen Herztodes (3,6 pro 100.000 Personenjahre) nur anhand von 14 Fällen kalkuliert worden.

Evidenz mit harten Endpunkten fehlt

Die Sportkardiologen Professor Herbert Löllgen aus Remscheid und Professor Jürgen Scharhag vom Institut für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes sind dagegen von den Vorteilen eines solchen Screenings überzeugt. Auch sie räumen ein, dass deren Wirksamkeit bisher nicht anhand harter Endpunkte wie Tod und Herzkreislaufstillstand in großen prospektiven Studien belegt ist.

 Für eine solche Studie müssten aber Tausende von Sportlern über 15 bis 20 Jahre hinweg beobachtet werden (Dtsch Zschr Sportmedizin 2015, 66: 151-155).

"Es kann und darf nicht der alleinige Sinn und Zweck eines sportkardiologischen Screenings sein, sich nur auf den plötzlichen Herztod zu beschränken", betont Scharhag. Auch andere kurz- oder langfristige sportinduzierte Risiken oder Schäden ließen sich dadurch reduzieren (Sports Medicine, 2016,46:459).

Dem Argument der belgischen Kritiker, das Ruhe-EKG habe zudem eine relativ geringe Sensitivität, bringt Löllgen neuere Studien etwa von Dr. Kimberly Harmon von der Indiana University School of Medicine in den USA entgegen, die belegen, dass anhand eines Ruhe-EKGs bei valider Auswertung abnormale kardiale Befunde besser zu erkennen seien als mittels Anamnese und klinischem Befund.

Ende von Sportlerkarrieren?

Brabandt und Kollegen weisen in ihrem Review aber auch auf die negativen Folgen hin, die solche Untersuchungen für junge Athleten haben könnten. Sie schätzen, dass dann bis zu 30 Prozent der gescreenten Personen zusätzliche kardiologische Untersuchungen erhalten. Diese könnten zu unnötiger Angst führen oder sogar das Ende der Sportlerkarriere bedeuten, schreiben sie.

Löllgen hält dies für eine Vermutung ohne Beweis: "Sportler sind eher beunruhigt, wenn sie nicht ausschließen können, ob ein pathologischer Befund vorliegt." Der Prozentsatz nachfolgender Untersuchungen ist seiner Ansicht nach auch viel zu hoch geschätzt; Studien zufolge trifft dies auf etwa fünf Prozent der Sportler zu.

Darüber hinaus dürfte ein Ende der Sportkarriere aufgrund falsch positiver Befunde heutzutage extrem selten sein. Denn mit der Echokardiografie und dem MRT lassen sich Auffälligkeiten im EKG zuverlässig abklären. Beide Verfahren werden laut Löllgen bei Leistungssportlern in Deutschland schon recht früh in der Diagnostik eingesetzt.

Und auch ein pathologischer Befund bedeute nicht zwangsläufig das Ende der Sportkarriere. Es gebe sogar Triathleten mit Brugada-Syndrom und implantierten Defibrillator, die weiter Sport treiben, berichtet der Sportkardiologe, wenngleich in solchen Fällen vom Wettkampfsport meist abgeraten werde.

"Screening auch für Freizeitsportler"

Zu Vorsorgeuntersuchungen bei Leistungssportlern in Deutschland gehören außer dem Ruhe-EKG, zusätzlich eine Belastungsuntersuchung, die Untersuchung der Lungenfunktion, ein Herzecho sowie Blutuntersuchungen, je nach Sportart und Gefährdung.

Aber auch für Freizeitsportler ab einem Alter von 35 Jahren hält Löllgen eine abgespeckte Vorsorgeuntersuchung inklusive Ruhe-EKG für sinnvoll. So empfehlen die Fachgesellschaften fast aller europäischer Länder eine Vorsorgeuntersuchung mit Anamnese, klinischer Untersuchung und Ruhe-EKG (gegebenenfalls mit IT-gestützter Auswertung).

"Wenn wir allen Menschen anraten, sich regelmäßig körperlich zu betätigen, müssen wir Ärzte auch dafür sorgen, dass möglichst keine Komplikationen auftreten", so Löllgen.

Wie kürzlich auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) von Scharhag berichtet wurde, erarbeitet die DGK derzeit eine Zusatzqualifikation Sportkardiologie, bei der sich Ärzte unter anderem auf sportkardiologische Untersuchungen spezialisieren können.

Scharhag und Löllgen glauben, dass sich damit die Versorgung von Sportlern in Deutschland weiter verbessern könnte - damit sowohl tragische Ereignisse wie ein plötzlicher Herztod als auch etwaige falsch-positive Befunde noch seltener werden.

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