Jerusalem

Klinik als "Oase des Zusammenlebens"

Oft sehen sich israelische Araber von der Karriereleiter gedrängt. Aziz Darawshe hat trotzdem eine glänzende Karriere gemacht: Er ist der erste arabische Leiter der Notaufnahme im Hadassah-Krankenhaus.

Von Anja Reumschüssel Veröffentlicht:
Aziz Darawshe vor dem Eingang zur Notaufnahme des Hadassah-Krankenhauses in Jerusalem.

Aziz Darawshe vor dem Eingang zur Notaufnahme des Hadassah-Krankenhauses in Jerusalem.

© Anja Reumschüssel / dpa

JERUSALEM. Aziz Darawshe ist Herr über einen der sichersten Orte in Israel. Die Notaufnahme des Hadassah-Krankenhauses in Jerusalem wurde während des zweiten Palästinenseraufstands (2000-2005) als Bunker ausgebaut.

Dort stehen 60 Betten für Schwerkranke und Verletzte bereit, 20 Ärzte und Krankenschwestern sind rund um die Uhr beschäftigt. Und sollte es richtig ernst werden, würden die schweren Türen und Fensterläden zufallen und weder Giftgas noch Kampfeslärm hineinlassen.

Seit elf Monaten leitet Darawshe die Abteilung - er hat es geschafft. Wenn der 58-Jährige durch das Neonlicht der kahlen Flure läuft, grüßen ihn seine Mitarbeiter mit einem flotten Spruch, und der Arzt mit den Lachfalten um die dunklen Augen grüßt zurück und muss grinsen.

Er ist an dem einzigen Ort, für den er seine vorherige Stelle als Leiter einer Notaufnahme im Norden Israels aufzugeben bereit war.

"Das hier ist eine der besten Notaufnahmen des ganzen Landes, vielleicht sogar des ganzen Nahen Ostens", erzählt Darawshe stolz.

Knapp 80.000 Patienten werden dort pro Jahr behandelt, ins Hadassah-Krankenhaus kommen besonders schwierige Fälle aus dem ganzen Land.

Darawshe hatte in den vergangenen Jahren öfter Angebote, an andere Krankenhäuser zu wechseln. "Aber ich hab immer abgelehnt", sagt er. Erst als Hadassah ihn haben wollte, ließ er seine Frau und den jüngsten Sohn im Norden zurück und fährt seitdem nur am Wochenende nach Hause.

Drei von vier Söhnen sind Ärzte

Kaum jemand hätte bei Darawshes Geburt geglaubt, dass der Sohn eines arabischen Bauern und einer Analphabetin einmal studieren, geschweige denn Leiter in einem israelischen Krankenhaus werden würde.

Verwandte und Freunde lachten Darawshes Vater aus, der in seinem kleinen Dorf bei Nazareth erzählte, sein Sohn werde einmal Arzt. Da war Darawshe noch gar nicht geboren.

Heute sind sogar drei weitere Söhne Ärzte. Nur einer ist "vom rechten Weg" abgekommen: Er wurde Ingenieur. Die sieben Schwestern Darawshes durften auch studieren, wurden Lehrerinnen - eine Seltenheit in arabischen Familien der 60er Jahre.

Die Mutter bestand darauf. "Meine Mutter war sehr klug, aber sie durfte selbst nie zur Schule gehen." So wollte die Mutter, dass wenigstens aus ihren Kindern etwas Besonderes wird.

Die Eltern arbeiteten hart, schickten die ältesten Kinder zur Schule und zum Studium. Die Ältesten finanzierten dann die Ausbildung der jüngeren Geschwister mit. Darawshe bereut es nicht, dem Wunsch des Vaters gefolgt zu sein.

"Zuerst wollte ich Physik oder Mathematik studieren", erinnert er sich. "Aber wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich wieder Arzt werden."

Araber stellen 20 Prozent der Bevölkerung Israels

Dass er in seinem Beruf erfolgreich sein würde, war aber auch mit Fleiß und Ehrgeiz nicht selbstverständlich. 20 Prozent der Bevölkerung Israels sind Araber, die meisten von ihnen Muslime. Doch in Führungspositionen und besser bezahlten Berufen sind sie stark unterrepräsentiert.

Während zehn Prozent der jüdischen Arbeitnehmer in Israel in der High-tech-Industrie arbeiten, sind es unter israelischen Arabern nur drei Prozent. Organisationen, die sich für die Rechte der israelischen Araber starkmachen, führen die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt auch auf Diskriminierung der Araber zurück.

"Ja, es gibt in Israel Vorurteile gegenüber Arabern", gibt Darawshe zu. "Aber im Krankenhaus werden Menschen behandelt, da gibt es keine Diskriminierung." Was er meint ist: Ein kranker Mensch fragt meist nicht danach, ob ihn ein Muslim oder ein Jude behandelt.

Er will einfach nur einen guten Arzt. "Der kranke Mohammed wird sich lieber von Moishe als von Mustafa behandeln lassen, wenn Moishe der bessere Arzt ist", vergleicht Darawshe und betont: "Andersherum ist es natürlich genauso."

In anderen Berufen haben es Araber nach aktuellen Erhebungen noch immer schwer, Karriere zu machen und neben ihren jüdischen Kollegen gleichbehandelt zu werden. Doch Krankenhäuser sind für Darawshe "eine Oase des Zusammenlebens".

"Hier teilen sich Juden, Christen und Muslime das gleiche Zimmer, sie lachen und leiden zusammen", sagt er. "Und ich lebe seit über 41 Jahren sehr gut in dieser Oase." (dpa)

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