Klosterfrau Melissengeist - eine Nonne als Vorreiterin moderner Markenkultur

Von Heike Vogt Veröffentlicht:

Auf dem florierenden, post-napoleonischen Markt für Heil- und Duftwässerchen in Köln gehörten im 19. Jahrhundert Ursprungsfabeln klösterlich überlieferter Rezepte zum guten Ton. Fast jeder Hersteller erfand Mönche oder Nonnen, die den Neukapitalisten uralte, ja wundersame Brauanleitungen überlassen hatten, meist für Produkte, deren Anwendungsbereiche man bewußt schemenhaft umriß.

Trotz großen Erfolgs nur ein bescheidenes Grab

Eine der bekanntesten deutschen Marken geht jedoch tatsächlich auf die pharmazeutische Tätigkeit einer Ordensfrau zurück: Klosterfrau Melissengeist, produziert und etabliert von der säkularisierten Nonne Maria Clementine Martin.

Martins bescheidenes Grab auf dem Kölner Friedhof Melaten läßt nur schwer erahnen, welch eine erfolgreiche und erfinderische Geschäftsfrau hinter der berühmten Marke steckt, die vor 175 Jahren als Warenzeichen eingetragen wurde und hinter der heute die MCM Klosterfrau Vertriebsgesellschaft mbH in Köln steht.

Als die 50jährige Maria Clementine Martin, Unternehmerin eher aus Notwendigkeit denn aus Leidenschaft, im Jahre 1826 ihre Heilwasser-Firma ins Kölner Handelsregister eintragen läßt, avanciert das nun preußische Köln gerade zur neuen Handelsmetropole. So hatte zum Beispiel eine neue Schiffahrtsroute die Stadt nach ruinöser napoleonischer Besatzung an den Welthandel angeschlossen und ihr somit eine boomende Wirtschaft beschert.

Konkurrenz auf dem Markt ist skrupellos

Martins Destillat, basierend auf einer Rezeptur aus dem 17. Jahrhundert, findet daher regen Absatz, doch die Konkurrenz auf dem "Kölnisch Wasser"-Markt ist skrupellos. Im Gegensatz zur ältesten Kölner Parfüm-Dynastie Farina, die für ihr Produkt keine Heilungsversprechen abgibt, und im Unterschied zur Unternehmerin Martin, deren Heilmittel als solches deklariert wird und sich auch bewährt, versuchen viele Scharlatane, ihre nach Gutdünken gemischten Wunderwässerchen unter dem Namen der erfolgreichen Produkte zu verscherbeln.

Maria Clementine Martin, die gegen den Namensklau noch keine gesetzliche Handhabe hat, verfällt auf eine kluge Strategie. Sie ist nicht die einzige, die die Wichtigkeit eines Logos erkennt, jedoch die erste, die ein "Fabrikzeichen" wählt, welches schon an sich Respekt einflößt. 1829 ersucht sie den preußischen König Friedrich Wilhelm III., ihr das Aufdrucken des preußischen Wappens auf ihre Flaschen zu gestatten.

Ihrem "allerunterthänigsten", religiös verbrämten Gesuch wird stattgegeben. 1831 hinterlegt Maria Clementine Martin beim Rat der Gewerbeverständigen ihr Firmenzeichen samt preußischem Emblem, welches bis heute auf den Melissengeist-Flaschen prangt.

Mit Gottes Hilfe und Unternehmerschläue

Damit ist die ehemalige Nonne nicht nur eine Vorreiterin moderner Markenkultur, sondern auch eine der wenigen, die als Träger klösterlichen Medizinwissens pharmazeutische Traditionen in die moderne Industriegesellschaft hinübergerettet haben - vielleicht durchaus mit Gottes Hilfe, aber sicherlich nicht ohne eine gute Portion Unternehmerschläue.

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