„Kneipp-Jahr“ 2021

Mehr als nur kaltes Wasser? Vom Wassertreten im Corona-Jahr

Zum Geburtstag von Sebastian Kneipp ist das Interesse an dessen Lehre groß. Für die Kneipp-Vereine ist das Jubiläumsjahr dennoch ein schwieriges: Ihr angestaubtes Image macht ihnen zu schaffen.

Von Frederick Mersi Veröffentlicht:
Barfuß durch den Schnee: Monika Weitnauer (l.) und Ida-Anna Braun vom Kneipp-Verein Kempten.

Barfuß durch den Schnee: Monika Weitnauer (l.) und Ida-Anna Braun vom Kneipp-Verein Kempten.

© Karl-Josef Hildenbrand / dpa

Bad Wörishofen. Wenn es kalt genug ist, stapft Ida-Anna Braun nach dem Aufstehen erst mal barfuß im Schnee. „Wir Kneipp-Leute sind da sehr robust“, sagt die 69-Jährige aus Wiggensbach im Allgäu.

Schneetreten stärkt die Abwehrkräfte – davon war schon Ende des 19. Jahrhunderts der Priester Sebastian Kneipp überzeugt. Nicht nur Ida-Anna Braun hält seine Naturheil-Lehre heute noch für relevant: Rund 200.000 Menschen in Deutschland halten in etwa 1200 Kneipp-Vereinen das Erbe des „Wasserdoktors“ am Leben.

Anlässlich dessen 200. Geburtstags am 17. Mai sollten diese Ideen im „Kneipp-Jahr“ 2021 eigentlich durch Großveranstaltungen besondere Aufmerksamkeit erhalten. Dem machte aber in Form von Corona genau das einen Strich durch die Rechnung, was den Allgäuer Priester Ende des 19. Jahrhunderts berühmt machte: eine ansteckende Krankheit. Kneipp hatte damals Tuberkulose- und Cholera-Patienten vor allem mit Wasser-Güssen und Heilkräutern behandelt.

In Zeiten der Corona-Pandemie sei das Interesse an Kneipp wieder besonders groß, sagt der Geschäftsführer des Kneipp-Bundes, Thomas Hilzensauer. „Die Dinge, zu denen wir aufrufen, sind bestens geeignet, das Immunsystem eigenverantwortlich zu stärken. Dieser Mehrwert wird immer mehr erkannt.“

Zulauf aus Seniorenheimen

Immer mehr Einrichtungen lassen ihr Gesundheitsangebot deshalb unter dem Namen Kneipp zertifizieren. Nach Angaben des Kneipp-Bunds sind es in Deutschland bislang etwa 680, darunter 460 Kitas. „Ohne dass wir das jemals richtig beworben hätten“, sagt Geschäftsführer Hilzensauer. „Gerade haben wir bei den Seniorenheimen einen Zulauf.“ So könne man Kneipps Lehre auch ohne Vereine in die Lebenswelten der Menschen bringen.

Die rund 1200 Kneipp-Vereine in Deutschland kämpfen unterdessen mit sinkenden Mitgliederzahlen und einem angestaubten Image. „Wir haben das gleiche Problem wie alle Verbände, dass Mitgliedschaften für viele Menschen nicht mehr erstrebenswert sind“, sagt Hilzensauer. „Wir haben da auf jeden Fall Verluste.“ Bei Jüngeren sei aber auch das Image des Kneippens selbst – seit 2015 immaterielles Kulturerbe der Unesco – ein Problem, sagt Hilzensauer. „Nach dem Motto: Das ist ja nur kaltes Wasser.“ Dennoch schafften es einige Kneipp-Vereine, mit einem breiten Kursangebot auch junge Familien zu begeistern.

Austritte trotz Zumba

Ute Born-Hort leitet im saarländischen Spiesen-Elversberg einen solchen Verein. Knapp 1500 Mitglieder nahmen vor der Pandemie nach Angaben der Vorsitzenden an dessen Angeboten regelmäßig teil. Diese reichten von „Deepwork“-Fitnessübungen über Qigong bis Zumba, sagt die 55-Jährige.

Gerade über Angebote für Kinder habe der Verein viele junge Familien angeworben. Allein mit klassischen Kneipp-Maßnahmen wie Güssen und Wassertreten „erreichen Sie einfach keine jüngeren Leute“, sagt Born-Hort.

Doch auch ihr Vorzeige-Verein hat wegen Corona mit Austritten zu kämpfen. Über 100 Mitglieder hätten seit Beginn der Pandemie gekündigt, sagt Born-Hort. Zum einen fielen die bei Familien so beliebten Babykurse im Verein aus: „Das werden wir komplett neu aufbauen müssen.“ Zum anderen könne der Verein mit seinen Online-Angeboten viele ältere Mitglieder nicht erreichen. „Und alle abzutelefonieren, das schaffe ich einfach nicht“, sagt Born-Hort.

Für Ida-Anna Braun als Vorsitzende des Kemptener Kneipp-Vereins sind digitale Angebote im „Kneipp-Jahr 2021“ ebenfalls nur ein schwacher Trost: „Was soll ich via Zoom anbieten, wenn viele ältere Mitglieder gar keinen Zugang dazu haben?“ Für die Kemptener Kneippianer bleiben in diesem Fall nur gleichzeitige Aktionen wie Heilkräuter-Teetrinken, Meditation und Telefongespräche.

Auch der Kneipp-Bund setzt in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Veranstaltungsverboten auf Aktionstage und digitale Angebote. Den Anfang machte ein Muffin-Backwettbewerb zum Tag der gesunden Ernährung am 7. März. „Die Vereine sind dabei Multiplikatoren“, sagt der Sprecher des Kneipp-Bunds, Christian Dannhart. Dort sei man inzwischen offen für digitale Angebote. Der Festakt zum Kneipp-Jahr am 2. Mai in Bad Wörishofen soll teils virtuell stattfinden.

Doch nicht alles lässt sich einfach ins Internet verlegen: Die ursprünglich vor Kneipps Geburtstag Mitte Mai geplante internationale „Kneippiade“ in Bad Wörishofen wurde auf den 23. bis 25. Juli verschoben. In welcher Form sie dann stattfinden kann, ist bislang offen. (dpa)

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