Lindau

Nobelpreisträger zum Anfassen

Auf der 68. Nobelpreisträgertagung in Lindau widmeten sich die Forscher auch der Wissenschaft in postfaktischer Zeit. Was wirklich zähle, sei Evidenz, betonten sie.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Professor Elizabeth Blackburn gibt in Lindau Tipps an Jungforscher

Professor Elizabeth Blackburn gibt in Lindau Tipps an Jungforscher

© Christian Flemming

Nein, US-Präsident Donald Trump war zur 68. Nobelpreisträgertagung in Lindau nicht geladen, aber dennoch irgendwie permanent präsent. Denn so mancher Nobelpreisträger präsentierte in seinem Vortrag ein Bild des Präsidenten – mal als selbsternannten König, mal auf einem Magazin-Titelbild am Schreibtisch sitzend in tobendem Sturm.

Nicht nur angesichts des schönen Wetters am Bodensee meinte denn auch Dr. Louis J. Ignarro, Professor emeritus der Universität von Kalifornien in Los Angeles und "Vater von Viagra", er sei lieber im sonnigen Lindau als in den derzeit "stürmischen" USA.

Damit signalisierte auch er seine Abneigung gegen die derzeitige Wissenschaftsfeindlichkeit, die sich in den Begriffen "Fake News" und "alternative Fakten" widerspiegelt.

Verlorengegangenes Vertrauen

Video-Interviews zum Abruf

Auf der 68. Lindauer Nobelpreisträgertagung hat Springer Medizin Video-Interviews mit Professor Harald zur Hausen und Young Scientists geführt. Zu finden auf springermedizin.de!

Bereits zur Eröffnung der Tagung, die unter dem Motto "Educate.Inspire.Connect" in der vergangenen Woche stattfand, betonte Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung: "Ich wünsche mir, dass in Zeiten einfacher Antworten die Stimme der Wissenschaft deutlich zu hören ist, als Anker des Vertrauens." F

orscher müssten den Menschen und der Öffentlichkeit sagen, warum sie diese oder jene Forschung betreiben, welchen Nutzen sie hat und welche Risiken damit verbunden sind. Dadurch könne verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden.

"Wenn wir die Welt retten wollen, dann brauchen wir Forscher, die ihrer Verantwortung gerecht werden und herauskommen aus ihrem Forscherstübchen. Dann brauchen wir Forscher wie Sie, die sich einmischen."

Bettina Gräfin Bernadotte, Präsidentin des Kuratoriums für die Tagungen der Nobelpreisträger in Lindau, hat aus Anlass früherer Tagungen bereits auf die weltweite Bedrohung der wissenschaftlichen Wahrheit hingewiesen und dass für die akademische Freiheit, die Freiheit der Gedanken und die Redefreiheit gekämpft werden müsse, sowohl von Wissenschaftlern als auch von Bürgern.

Auch sie betonte zur Eröffnung der Tagung: "Ich glaube immer noch, dass eine wissenschaftsbasierte Debatte wichtig ist." Es sei entscheidend, dass Forscher in der Öffentlichkeit und in der Politik Werbung für die Wissenschaft machen, als "verlässlicher Anker in einer unruhigen Welt".

Video

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Veröffentlicht: 07.07.2018 © Springer Medizin

Nach Ansicht des Australiers Professor Peter C. Doherty, der sich 1996 den Medizinnobelpreis für die Aufklärung der Funktion der Transplantationsantigene mit dem Schweizer Professor Rolf Zinkernagel teilte, ist es nicht einfach, wissenschaftliche Neuigkeiten in die breite Öffentlichkeit zu bringen.

Er versucht das beharrlich schon seit der Nobelpreisverleihung und hat dazu inzwischen sechs Bücher für Laien über Wissenschaft und Wissenschaftskultur veröffentlicht.

Ohne Umwege in die Öffentlichkeit

Einen weiteren Versuch, das Ziel zu erreichen, hat er 2011 mit "The Conversation" (www.theconversation.com) gestartet, die sich als unabhängige Quelle für Nachrichten und Ansichten versteht, die aus der Forschung stammen und ohne Umwege direkt die Öffentlichkeit erreichen sollen, etwa über das Zusammenspiel zwischen Immunsystem und Mikrobiom.

Jeder könne – die Expertise vorausgesetzt – bei dem Projekt mitmachen. Inzwischen gibt es diesen "Versuch", wie Doherty es nennt, außer in Australien auch in USA, Großbritannien und Frankreich.

Die Internetseite wirbt damit, ein Antidot gegen "alternative Fakten" zu sein. Doherty ermunterte auf der Tagung die Jungforscher mitzumachen.

Um die optimale Verbreitung wissenschaftlicher Informationen ging es auch in der teilweise hitzig geführten Podiumsdiskussion "Publish or Perish", während der etwa über Vor- und Nachteile einer Orientierung am Impact Factor bei der Auswahl einer Zeitschrift für die zu publizierende wissenschaftliche Arbeit diskutiert wurde. Im Fokus der Diskussionen standen zudem Open-Access-Veröffentlichungen.

600 Jungforscher aus 50 Nationen

Für die Nobelpreisträgertagung, die erstmals 1951 stattfand, war es in diesem Jahr gelungen, 39 Laureaten zu gewinnen. Und etwa 600 Jungforscher – Studierende, Doktoranden und Post-Docs – nicht älter als 35 hatten das strenge Auswahlverfahren erfolgreich überstanden, so mancher erst beim zweiten Anlauf. Sie repräsentierten fast 50 Nationen.

Lesen Sie auch: Professor Zinkernagel im Interview: "Wissenschaft führt zu 99,9 Prozent zu Frustation"

Mehr als 130 Akademien, Universitäten und Stiftungen hatten die Jungforscher für die diesjährige Tagung nominiert. Verantwortlich für die Auswahl war unter anderen Dr. Stefan H. Kaufmann, Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Charité und Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Der Forscher ist auch Mitglied des Kuratoriums und war einer der zwei Wissenschaftlichen Leiter der Tagung.

Der Anteil der Frauen unter den Jungforschern lag in diesem Jahr bei 50 Prozent. Das entsprach keineswegs dem Anteil unter den Laureaten.Nur zwei Frauen fanden sich diesmal in der Riege der teilnehmenden Preisträger: die Molekularbiologin und Telomerforscherin Professor Elizabeth Blackburn, Medizinnobelpreisträgerin von 2009, und die Strukturbiologin und Proteinforscherin Professor Ada Yonath, die die Auszeichnung im selben Jahr in Medizin erhalten hatte.

In ihrem Vortrag zu Forschungspolitik, Wissenschaft und Gesellschaft plädierte Blackburn für eine stärkere Einbindung von Wissenschaft in politische Entscheidungen, um im "postfaktischen" Zeitalter bestehen zu können.

Und: "Wir müssen die durch Neugier getriebene Forschung unterstützen." Dabei erinnerte sie in Anlehnung an ein Zitat des russischen Schriftstellers und Arztes Anton Tschechow, was national sei, sei keine Wissenschaft.

Sie schlug gleich zu Beginn der Tagungein Abkommen vor, das sich an das Pariser Klimaabkommen anlehnen sollte, und zwar zur "Global Long-term Basic Research Sustenance", das eine langfristige globale Grundlagenforschung sicherstellt.

Personalisierte Medizin im Fokus

Einer, der seit 2007 fast regelmäßig an den Tagungen in Lindau mit Vorlesungen teilgenommen hat, ist der Biochemiker Professor Aaron Ciechanover vom Technion – Israel Institute of Technology in Haifa, der 2004 gemeinsam mit Professor Avram Hershko und Professor Irwin Rose mit dem Chemienobelpreis geehrt wurde. Seit vielen Jahren begleitet er das Thema personalisierte Medizin.

Ein Aspekt ist dabei die Genomanalyse, die helfen soll, etwa in der Onkologie jene Patienten zu identifizieren, die aufgrund ihrer genetischen Konstitution voraussichtlich am besten auf eine bestimmte Therapie ansprechen.

Das setzt die Kenntnis des Genoms voraus. Er wies er darauf hin, dass personalisierte Medizin das Potential der Vorhersage hat. Wir sollten mit Patienten Informationen kommunizieren, die einen Einfluss auf die Art der Behandlung haben, auf Prävention.

Aber nicht bei unheilbaren Krankheiten oder bei Krankheiten, bei denen wir nicht wissen, wie zu behandeln sei. Man solle nicht vergessen, dass "wir derzeit in einen sehr dynamischen Prozess eintreten, nämlich den des genetischen Editierens".

Das werde künftig bei immer mehr Krankheiten angewendet werden, was dazu führe, dass sich die Liste von "behandelbaren" Genen, verändere. Manche Gene würden entfernt, andere neu in die Liste aufgenommen. Die genetischen Erkenntnisse würden künftig einen sehr großen Einfluss auf die Definition von Krankheiten haben.

Buchtipp: Wissenschaft aus erster Hand

Der Band beschreibt eindrucksvoll, wie die Lindauer Nobelpreisträgertagung entstand, mit welchen Herausforderungen ihre Organisatoren sich über die Jahrzehnte seit 1951 konfrontiert sahen und wie das Format der direkten persönlichen Begegnung zwischen Nobelpreisträger und Jungforscher im digitalen Zeitalter seine Relevanz behält. Bereichert wird der Band, der aus Anlass des 65-jährigen Jubiläums herausgegeben wurde, durch Interviews mit Nobelpreisträgern und Nachwuchswissenschaftlern.

Ralph Burmester: Wissenschaft aus erster Hand - 65 Jahre Lindauer Nobelpreisträgertagungen. Bonn 2015, 224 Seiten, durchgehend vierfarbig, Leineneinband mit Lesebändchen, deutsch-englische Ausgabe. 24,90 Euro. ISBN 978-3-940396-50-1, erhältlich beim Deutschen Museum in München: www.deutsches-museum.de

Lesen Sie dazu auch: Interview: "Wissenschaft führt zu 99,9 Prozent zu Frustration"

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