"Verrückte Kunst" im Museum Prinzhorn

HEIDELBERG. Die Werke des Heidelberger Museums Prinzhorn lassen sich keiner Gattung oder Epoche unterordnen. In seinem Fundus befinden sich etwa 5000 Arbeiten von rund 450 Künstlern, darunter Zeichnungen und Aquarelle, Briefe, Notizen, Textentwürfe, Bücher und Hefte, Ölgemälde, Collage, textile Arbeiten und 70 Skulpturen aus Holz. Was sie eint, ist ausschließlich ihr Entstehungsort: psychiatrische Heil- und Pflegeanstalten in Deutschland, Österreich, Schweiz, vereinzelt auch aus Italien, Frankreich, Polen und Japan.

Von Pete Smith Veröffentlicht:

Der Offenbacher Kunstschmied Franz Karl Bühler (1864 bis 1940) lässt die Kritiker 1893 aufhorchen, als er auf der Weltausstellung in Chicago für sein Werk eine Medaille erhält. Bühler ist auf dem Weg, ein anerkannter Künstler zu werden - wenn da nicht seine Angstanfälle wären.

Schließlich wird er in die Psychiatrie eingeliefert, wo er in den nächsten Jahrzehnten lebt. Da er sich selbst nicht als krank ansieht, stellt er sich seinen Mitpatienten als "Sanitätspolizist Dr. Bühler" vor und fertigt Akten über sie an. Gleichzeitig schafft er Hunderte von künstlerischen Werken. 1940 fällt Bühler der so genannten T4-Aktion der Nazis zum Opfer, die ihn im Zuge ihrer Euthanasiemorde in der Tötungsanstalt Grafeneck vergasen.

Von Franz Karl Bühler sind 250 Werke erhalten geblieben. Dass diese der Nachwelt auch heute noch zugänglich sind, ist ein Verdienst des Arztes und Kunsthistorikers Hans Prinzhorn (1886 bis 1933).

Dieser kam 1919 als Assistent an die Psychiatrische Klinik der Universität Heidelberg, wo er den Auftrag erhielt, eine bereits bestehende kleine Sammlung künstlerischer Arbeiten von Psychiatriepatienten mit Werken aus anderen psychiatrischen Einrichtungen zu erweitern und in einer wissenschaftlichen Studie auszuwerten. Aus seiner zweijährigen Tätigkeit erwuchsen der wegweisende Band "Bildnerei der Geisteskranken" sowie eine ganze Sammlung von Werken, die nach ihrem Begründer benannt wurde und 2001 ein eigenes Museum erhielt.

Der Begriff Sammlung, so Museumsleiter Dr. Thomas Röske zur "Ärzte Zeitung", führe eigentlich in die Irre. Denn damit sei in der Regel ein thematisch begrenztes künstlerisches Werk gemeint, das eine Privatperson durch ihre Sammeltätigkeit komplettiere. "Prinzhorn dagegen hat einen Aufruf verschickt und alles genommen, was er bekommen konnte. Das macht seine ‚Sammlung‘ so ungeheuer reich."

Unter den Exponaten sind laut Museumsleiter Röske "hervorragende Kunstwerke." Wie etwa die Bilder der Psychiatriepatientin Else Blankenhorn (1873 bis 1920), die sich in ihren Werken eine eigene Wirklichkeit erschuf, in der das Anstaltsleben keine Bedeutung hatte. Sie fühlte sich etwa für die Versorgung der Toten nach deren Auferstehung zuständig und malte dazu Geldscheine, mit denen die Kosten dafür gedeckt werden sollten.

Oder die Werke von August Natterer (1868 bis 1933), der sich selbst als Propheten ansah und die Welt von der Weltenhexe befreien wollte. Emma Hauck (1878 bis 1920) litt unter der Wahnvorstellung, ihr Ehemann wolle sie vergiften. Als sie in die Psychiatrische Klinik eingeliefert wurde, begann sie jedoch, ihrem Mann Briefe zu schreiben - nicht normale Briefe, sondern solche, die nur aus einer einzigen Aufforderung bestanden - "Herzensschatzi komm". Zwei Worten, die wieder und wieder überschrieben wurden, so dass auf dem Papier grafische Strukturen entstanden, die ein pulsierendes Bild ihrer Sehnsucht formen.

"Künstler in der Irre" - neue Ausstellung

Die Ausstellung "Künstler in der Irre", die vom 30. April bis zum 14. September dieses Jahres im Museum Prinzhorn in Heidelberg zu sehen sein wird, zeigt erstmals Arbeiten von Künstlern, die vor ihrem Anstaltsaufenthalt eine professionelle künstlerische Ausbildung erhielten.

Hans Prinzhorn (1886 bis 1933) selbst, Begründer der Sammlung, interessierte sich für diese Künstler kaum, da sie für ihn nicht das "Ursprüngliche" darstellten.

Gezeigt werden Werke von 17 Malern, Grafikern und Bildhauern. Der Titel der Ausstellung weist auf deren Dilemma: Durch ihren Anstaltsaufenthalt gerieten sie außerhalb der Einrichtung bald in Vergessenheit; gleichzeitig konnten sie die Erwartungen an das Klischee von "verrückter" Kunst nicht erfüllen, weshalb ihre Werke auch unter diesem Aspekt weitgehend unbeachtet blieben. Die meisten Werke stammen aus der Zeit des Fin de siècle, vertreten sind Strömungen zwischen Realismus und Dadaismus.

Das Museum Sammlung Prinzhorn, Voßstraße 2, 69115 Heidelberg, Telefon 06221-564492, ist von Dienstag bis Sonntag zwischen elf und 17 Uhr (mittwochs bis 20 Uhr) geöffnet. Der Eintritt beträgt drei Euro. Öffentliche Führungen finden jeden Sonntag um 14 Uhr und Mittwoch und 18 Uhr statt. (smi)

Weitere Informationen unter www.prinzhorn.uni-hd.de

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