Zwei Radiologen tot

Was steckt hinter der Bluttat von Marburg?

Ein Radiologe aus Marburg erschießt seinen Praxispartner und tötet dann sich selbst. Die Ermittler rätseln noch über das Motiv. Sie konzentrieren sich derzeit vor allem auf das geschäftliche Umfeld.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:
Was steckt hinter der Bluttat von Marburg?

© Thorsten Richter/ dpa

MARBURG. Nach dem tödlichen Drama in einem Marburger Ärztehaus konzentrieren sich die Ermittlungen auf das geschäftliche Umfeld der beiden Mediziner. Zwei Radiologen im Alter von 53 und 67 Jahren waren am Donnerstag bei einer Schießerei in einem Diagnostikzentrum am Marburger Hauptbahnhof ums Leben gekommen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft erschoss der Jüngere den Älteren mit mehreren Schüssen und beging dann Suizid.

"Wir gehen davon aus, dass es sich um Streitigkeiten im Praxisbetrieb handeln könnte", sagte der Sprecher der Marburger Staatsanwaltschaft Christian-Konrad Hartwig. Deshalb werden weitere Praxiskollegen und Ärzte vernommen. Dabei sollen auch die Finanzen, die Geschäftsbeziehungen und die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Ärzten unter die Lupe genommen werden.

Teilhaber eines Diagnostikzentrums

Die Radiologen – beide Teilhaber des Diagnostikzentrums – arbeiten seit Jahren in der Gemeinschaft zusammen. Angeblich – so berichten lokale Medien – wollte der 67-Jährige ab Januar eine neue Praxis in einem Gesundheitszentrum in Stadtallendorf, einer Industriestadt im Landkreis Marburg-Biedenkopf, eröffnen. "Ob es noch weitere Motive im privaten Bereich gab, ist unklar", so Staatsanwalt Hartwig.

Klar ist inzwischen, dass der 53-Jährige Sportschütze war und einen Waffenschein für die Pistole besaß, die am Tatort sichergestellt wurde. Die tödlichen Schüsse fielen in einem Büro. Auf der betroffenen Etage waren laut Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt Mitarbeiter sowie eine Patientin im Wartebereich.

Nach den ersten Ermittlungen gibt es keine Anhaltspunkte für eine lautstarke Auseinandersetzung direkt vor der Tat. Der 67-jährige Radiologe wurde von mehreren Schüssen getroffen. "Wir haben eine Vielzahl von Einschüssen", so Hartwig. Der jüngere Arzt tötete sich dann offenbar selbst mit einem Schuss.

Bahnhofsvorplatz abgesperrt

Die Obduktion der beiden Toten wurde angeordnet. Mit einem Ergebnis rechnet die Staatsanwaltschaft aber erst Anfang kommender Woche. Bereits befragt wurden etwa 20 Praxismitarbeiter, Bedienstete und Nachbarn, die sich zum Zeitpunkt des Dramas im oder direkt vor dem Ärztehaus befanden.

Nach den Schüssen am Donnerstagmittag war die Polizei von mehreren Anrufern alarmiert worden. Angesichts der "unklaren Bedrohungslage" hatte sie den gesamten Bahnhofsvorplatz mit dem Busbahnhof Marburgs in einem Großeinsatz abgesperrt. Wo sonst Busse fuhren, standen Polizisten mit Gewehren, Rettungswagen und Polizeiautos.

Entgegen anderslautenden Gerüchten war allerdings kein Sondereinsatzkommando dabei. Es stellte sich auch schnell heraus, dass es sich weder um einen Amoklauf noch um eine politisch motivierte Tat handelte.

Große Betroffenheit in Marburg

Die Polizei fand die beiden Männer tot in einem Büro des Ärztehauses. Weitere Personen waren nicht involviert. Der Raum, in dem die Tat geschah, bleibt versiegelt. Dort wird nach Hülsen, Projektilen und möglichen Schriftstücken gesucht, die Aufschluss über die Tat geben können.

Die Betroffenheit über die Bluttat in der Universitätsstadt ist groß. Schließlich handelt es sich um die zentrale Praxis für Radiologie in Marburg. Sie liegt in einem Geschäfts- und Ärztehaus in der Bahnhofstraße. Noch am Donnerstagnachmittag stellten Bürger Kerzen auf. Der Kriseninterventionsdienst kümmerte sich um Arzthelferinnen und Zeugen.

Der Praxisbetrieb in dem Gebäude darf nach Auskunft der Staatsanwaltschaft wieder aufgenommen werden. Um Engpässe in der medizinischen Versorgung zu vermeiden, hat das Uniklinikum Marburg zugesagt, dringende radiologische Untersuchungen zu übernehmen.

Gewaltverbrechen in Praxen gab es in der Vergangenheit immer wieder. Meist gingen die Taten jedoch von Patienten aus. 2016 erschoss ein Rentner in einer Berliner Klinik einen Kieferorthopäden. 2015 tötete ein 44-Jähriger seine Psychiaterin. 2012 erschoss ein Rentner zwei Ärzte in einer Praxis in Weilerbach (Rheinland-Pfalz). 2011 erstach ein 65-Jähriger eine Krankenhaus-Ärztin.

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