100-Stunden-Woche

Wenn die Arbeit in den Selbstmord treibt

Die US-Finanzbranche nimmt Berufseinsteiger hart ran. Eine Reihe von Todesfällen hat jetzt in den Vereinigten Staaten eine Debatte über die hohe Arbeitsbelastung entfacht.

Veröffentlicht:
Kein Ausweg mehr? In den USA gab es in letzter Zeit immer wieder Suizide in der Finanzbranche.

Kein Ausweg mehr? In den USA gab es in letzter Zeit immer wieder Suizide in der Finanzbranche.

© Torsten T. / panthermedia.net

NEW YORK. "Es ist zuviel. Ich habe zwei Tage nicht geschlafen, morgen früh ist ein Treffen mit Kunden, ich muss meine Präsentation fertigmachen, mein Vorgesetzter ist verärgert und ich arbeite alleine in meinem Büro." So klingt ein Hilferuf.

Er war Sunil Guptas letzter Kontakt zu seinem Sohn Sarvshreshth. Der 22-Jährige war Einsteiger bei der Investmentbank Goldman Sachs, der Arbeitsalltag - Nachtschichten und 100-Stunden-Wochen - überforderte ihn.

Am 16. April, wenige Stunden nach dem Anruf bei seinem Vater in Indien, stürzte sich Sarvshreshth Gupta vom Dach eines Wohnhauses in San Francisco in den Tod. "Nimm 15 Tage frei und komm nach Hause", habe Sunil noch gesagt.

Die Antwort: "Sie werden es nicht erlauben". Sunil verarbeitete das tragische Erlebnis in einem emotionalen Essay. Im Internet ist der Text inzwischen gelöscht worden, doch es finden sich nach wie vor zahlreiche Auszüge.

In den Tod gesprungen

Der Selbstmord hat die Diskussion um die hohe Arbeitsbelastung in der Finanzbranche wieder angefacht. Zumal es nicht der einzige Fall in letzter Zeit gewesen ist.

Nur wenige Wochen nach Guptas Tod wurde in Manhattan die Leiche eines 29-jährigen Investmentbankers gefunden. Er soll unter Drogeneinfluss von einem Gebäude gesprungen sein.

"Die einzige Erklärung ist, dass er meines Wissens sehr hart gearbeitet hat und unter Druck stand", sagte sein Vater der "Daily Mail". "Seine Arbeit ließ nicht viel Zeit für Vergnügen, das liegt in der Natur der Aufgabe, die er gewählt hat."

Im August 2013 hatte der Tod eines 21-jährigen Praktikanten der Bank of America Merrill Lynch in London Schlagzeilen gemacht, der nach Dauerarbeit kollabiert sein soll.

Als offizielle Todesursache wurde später ein epileptischer Anfall festgestellt, dennoch sorgte der Fall damals für öffentliche Empörung über das extreme Stresslevel und die aus dem Ruder laufende "Work-Life-Balance" in der Branche.

Bei der Bewertung der Fälle ist zwar große Vorsicht angebracht - mögliche Probleme außerhalb des Berufslebens sind schwer einzuschätzen. Fest steht aber: Der Arbeitsalltag in der Finanzbranche ist mit hohen Belastungen verbunden.

Berüchtigte Sommer-Praktika

Als berüchtigt gelten die Sommer-Praktika an der Wall Street. Vor Kurzem verschickte ein Barclays-Jungbanker aus New York unter der Überschrift "Willkommen im Dschungel" zehn Regeln, an die sich die Praktikanten halten sollten.

"Schnallt euch an. Die nächsten neun Wochen wird euer Leben nur aus Arbeit bestehen", heißt es darin.

Die wohl scherzhaft gemeinten Ratschläge kamen im derzeitigen Umfeld gar nicht gut an. Barclays distanzierte sich rasch und dem Blog "Gawker" zufolge soll der Angestellte nicht nur seinen Job dort los sein.

Auch ein neuer Arbeitgeber, zu dem er habe wechseln wollen, soll sein Stellenangebot daraufhin zurückgezogen haben.

Goldman Sachs bestätigte letzte Woche gegenüber US-Medien neue Regeln, die Praktikanten künftig schonen sollen. Sie wirken vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Überlastung allerdings ähnlich sarkastisch wie die "Zehn Gebote" des Barclays-Bankers: Nicht mehr als 17 Stunden pro Tag darf künftig gearbeitet werden - um Mitternacht soll Schluss sein.

Nach Daten des National Occupational Mortality Surveillance (NOMS), ist in den Vereinigten Staaten die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen in Finanzdienstleistungsbetrieben Selbstmord begehen, 1,5 Mal größer im Vergleich zum nationalen Durchschnitt.

Die New York Times spekuliert, dass das Bankgewerbe mehr Menschen mit Depressionen anziehen könnte als andere Berufe.

Wettbewerb mit dem Silicon Valley

Der Druck auf Banken wächst auch deshalb, weil Spitzentalente rar sind und der Wettbewerb mit Unternehmen im Silicon Valley an Bedeutung gewinnt, die ihrerseits jungem Führungsnachwuchs attraktive Konditionen bieten. (dpa/eb)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Berufsbedingte Schäden

Wenn Musikmachen Muskeln, Sehnen und Gelenke krank macht

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Kommentare
Claus F. Dieterle 23.06.201514:52 Uhr

"...sucht das rechte Maß"

Diese Aufforderung in Römer 12,3 sollte nicht nur in der US-Finanzbranche beachtet werden, sondern in allen Lebensbereichen.

Sonderberichte zum Thema
7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

© Vink Fan / stock.adobe.com

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

© Dr_Microbe / stock.adobe.com

Entwicklungen in der Therapie neuromuskulärer Erkrankungen

Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Eine MFA schaut auf den Terminkalender der Praxis.

© AndreaObzerova / Getty Images / iStockphoto

Terminservicestellen und Praxen

116117-Terminservice: Wie das Bereitstellen von TSS-Terminen reibungsloser klappt

Bei Grenzentscheidungen (z.B. kürzlich stattgehabte Operation) gelte es, Rücksprache mit der entsprechenden Fachdisziplin zu halten, betont Dr. Milani Deb-Chatterji.

© stockdevil / iStock

Eine schwierige Entscheidung

Schlaganfall: Das sind Grenzfälle der Thrombolyse