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2005: Bonus-Malus-Regelung lässt Ärzte vor Wut schäumen

Blick aufs Jahr 2005: Die Große Koalition unter der Führung von Angela Merkel startet – Staats- und Kassenfinanzen werden erneut klamm. Der erste Akt: Ein Sparpaket für Arzneimittel, das die Vertragsärzte gleich in Rage bringt. Der Grund ist eine Bonus-Malus-Regelung für Arzneiverordnungen.

Von Helmut Laschet Veröffentlicht:
Klinikärzte des Schwabinger Krankenhauses beim Protestieren am 31.12.2005

2005 streikten die Klinikärzte - wie beispielsweise am Krankenhaus Schwabing.

© ©Andreas Heddergott/Sueddeutsche Zeitung Photo/picicture-alliance

Die meisten Kostendämpfungsaktionen im Gesundheitswesen haben kurze Beine – sie tragen nicht weit. Das musste auch die im Herbst 2005 gestartete GroKo unter der Führung der neuen Bundeskanzlerin Angela Merkel sehen – und schnürte ein erstes Sparpaket.

Ursache: Der für ein Jahr (2004) auf 16 Prozent erhöhte Zwangsrabatt auf Arzneimittel ohne Festbetrag lag wieder bei sechs Prozent – und bei nur mäßig steigenden Einnahmen klafften in den Kassenbilanzen erneut Milliardenlöcher.

Das Gesamtpaket enthielt eine Fülle von Instrumenten – aber eines davon brachte die gesamte Ärzteschaft zum schäumen: eine arztindividuelle Bonus-Malus-Regelung für die Verordnung bestimmter besonders versorgungsrelevanter Arzneimittel.

Hatte schon 13 Jahre zuvor die von Horst Seehofer eingeführte Kollektivhaftung der Ärzte für die Einhaltung des gesetzlichen Arzneibudgets für Panik gesorgt, so bedeutete die Individualhaftung nochmals eine Verschärfung des Kostenreglements.

Attacke auf Therapiefreiheit

Was die Ärzte besonders erzürnte, war aber die Bonus-Regelung: ein Anreiz dafür, vorgegebene Richtwerte bei Arzneiverordnungen zu unterschreiten und dafür ein zusätzliches Honorar zu erhalten. Sowohl Bonus- wie auch Malus-Regelung sahen Ärzte als eine Attacke auf ihre Therapiefreiheit an.

Die Bonus-Option hatte aber ein besonderes Hautgout: Sie sei geeignet, Ärzte bei ihren Patienten in den Verdacht zu bringen, an medizinisch notwendigen Verordnungen sparen, um sich auf diese Weise zu bereichern. Das, so argumentierten führende Ärztevertreter – und so fühlte auch die Basis – untergrabe das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt.

Das ist ein Affront gegen die Vertragsärzte, vor allem aber gegen die Hausärzte, die die Hauptlast der Arzneimittelversorgung tragen.

Ulrich Weigeldt, 2006 stellvertretender KBV-Vorstandsvorsitzender, zur Bonus-Malus-Regelung für Arzneiverordnungen

So trug schon das erste Gesundheitsgesetz der gerade neu gestarteten Kanzlerin Angela Merkel dazu bei, den Proteststurm des Jahres 2006 zu befeuern. Tatsächlich wurde das Bonus-Malus-Instrument im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens deutlich entschärft und der Selbstverwaltung von KVen und Kassen Möglichkeiten an die Hand gegeben, Alternativen zu vereinbaren.

Zum einen: Der Bonus sollte nur kollektiv an jene Ärzte gezahlt werden können, die bestimmte Verordnungswerte unterschritten hatten. Nach welchen Kriterien, sollten KVen und Kassen festlegen. Zum zweiten: Die gesamte Bonus-Malus-Regelung sollte durch regionale Zielvereinbarungen zwischen KVen und Kassen ersetzt werden können. Und damit hatte es die Selbstverwaltung in der Hand, die Arzneiverordnungen hinsichtlich Qualität und Kosten zu steuern.

Heute weitgehend gängige Praxis

Das ist heute weitgehend pragmatische Praxis – und vermeidet inzwischen die allermeisten Regresse. Im Protestjahr 2006 waren den meisten Ärzten diese Optionen noch nicht bekannt. Als viel wirksamer erwiesen sich jene Instrumente, die den Wettbewerb im Generika-Markt befeuern sollten. Manches war zunächst purer Staatsdirigismus, so die pauschale Absenkung aller Festbeträge, ein Abschlag von zehn Prozent auf die Herstellerpreise von Generika und ein zweijähriger Preisstopp für verordnungsfähige Arzneimittel.

Andere Instrumente stärkten den Preiswettbewerb: Das galt für den Wegfall der Zuzahlung für solche Arzneimittel, deren Preis um mindestens 30 Prozent unter dem Festbetrag lag. Das stärkte die Nachfrage nach besonders billigen Generika und löste einen Kellertreppeneffekt aus.

Ein weiteres zentrales Instrument war das Verbot der Naturalrabatte für Apotheken. Das Geschäft mit den Naturalrabatten hatte sich rasant seit 2002 entwickelt, nachdem es den Apotheken erlaubt worden war, wirkstoffgleiche Arzneimittel unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten auszutauschen, wenn der Arzt „aut simile“ auf dem Rezept nicht ausdrücklich untersagt hatte. Damit waren nicht mehr Ärzte, sondern Apotheker zu den Zielpersonen des Marketings der Generika-Hersteller geworden.

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Naturalrabatte in Milliardenhöhe

Da es jedoch verboten war, den Apotheken Kick-backs in Form von Geld zu gewähren, bildete sich rasch ein Ersatz heraus: der Naturalrabatt. Auf zehn abgegebene Packungen eines bestimmten Arzneimittels eines Herstellers stellte dieser dem Apotheker zwei, drei oder mehr Packungen unentgeltlich zur Verfügung.

Eine Praxis, die ausuferte und die mit marktwirtschaftlichen Regeln nicht einzufangen war. Marktbeobachter schätzten damals den Wert der Naturalrabatte zugunsten der Apotheker auf mehr als eine Milliarde Euro. Beizukommen war dem nur durch ein gesetzliches Verbot. Gefordert hatten es die Generika-Hersteller selbst. Ulla Schmidt erfüllte den Wunsch. (HL)

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