INTERVIEW

"Ärzte müssen neue Wege gehen"

KIEL. Durch die Bank hagelte es von den Krankenkassen Kritik am Gesundheitsfonds. Auch die Barmer Ersatzkasse (BEK) ist nicht glücklich damit - sieht mit der Einführung aber auch Chancen verbunden. Welche Rolle die niedergelassenen Ärzte in den Planungen der größten Ersatzkasse spielen, verriet die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Birgit Fischer "Ärzte Zeitungs"-Mitarbeiter Dirk Schnack.

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"Es gibt noch zu viele Verträge, die die integrierte Versorgung zwar auf dem Papier stehen haben, diese aber noch nicht mit Leben füllen." Birgit Fischer Vize-Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse

Ärzte Zeitung: Frau Fischer, die große Koalition hält trotz massiver Kritik am Gesundheitsfonds fest. Wie bereitet sich die Barmer auf den Fonds vor?

Fischer: Wir brauchen und wir wollen den Gesundheitsfonds nicht. Er bringt uns mehr staatlichen Einfluss - das halte ich für unnötig. Aber nach allem, was wir hören, wird er wohl kommen. Was wir jetzt brauchen, ist eine differenzierte Diskussion, die auch die Chancen einbezieht, die der Fonds bietet.

Ärzte Zeitung: Und die wären?

Fischer: Wenn der Gesundheitsfonds mit dem Morbi-RSA gekoppelt wird, haben wir die Chance, Fehlallokationen im Gesundheitswesen zu beheben und einen Wettbewerb um die beste Versorgung zu beginnen. Bislang ist das nicht der Fall, weil es nach dem derzeitigen System für die Kassen lukrativer ist, junge, gesunde Versicherte als Mitglieder zu gewinnen, statt in die Versorgung zu investieren.

Ärzte Zeitung: Ob das anders wird, hängt von der Ausgestaltung des künftigen Systems ab…

Fischer: Es gibt noch zu viele Unbekannte. Damit wir die Chancen nutzen können, ist eine Verknüpfung mit dem Morbi-RSA unbedingt nötig. Bei der Kostenbetrachtung darf nicht die Zahl der Versicherten, sondern es müssen die tatsächlichen Kosten der Behandlung im Vordergrund stehen. Die Politik muss sich entscheiden, was sie will: Internetkassen, die nur den Preisvorteil bieten - oder Krankenkassen, die Versorgung gestalten, auf Qualität setzen und Innovationen umsetzen. Das ist aber nur möglich, wenn deren Kosten angemessen berücksichtigt werden.

Ärzte Zeitung: Stichwort Gestaltung der Versorgung: Welche Rolle können die niedergelassenen Ärzte dabei spielen? Werden sie in Zeiten von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) als Vertragspartner noch wahrgenommen?

Fischer: Ihr Stellenwert steigt, wenn die Versorgungskonzepte stimmen. Dabei ist es unerheblich, ob sie in einem MVZ, in einem Ärztenetz oder anders organisiert sind. Wichtig ist, dass unsere Versicherten zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Experten für die erforderliche Behandlung sehen. Damit das gelingt, wollen wir gemeinsam mit Leistungserbringern innovative Konzepte erarbeiten. Dabei stehen wir am Anfang einer Entwicklung, die mit wachsender Vertragsfreiheit noch beschleunigt wird.

Ärzte Zeitung: Das ist bei Modellen zur integrierten Versorgung bereits möglich.

Fischer: Ja, aber es gibt noch zu viele Verträge, die die integrierte Versorgung zwar auf dem Papier stehen haben, diese aber noch nicht mit Leben füllen. Kassen und Leistungserbringer müssen stärker daran arbeiten, dass die Versorgung verbessert wird - das muss im Mittelpunkt stehen.

Ärzte Zeitung: Welche Erwartungen haben Sie dabei an die Ärzte?

Fischer: Dass sie auch mal bereit sind, neue Wege zu gehen. Wenn wir heute mit Ärzten sprechen, kommt fast immer nur die Frage nach mehr Honorar. So berechtigt das im Einzelfall sein kann, dürfen wir unsere Kommunikation nicht darauf beschränken. Nur über Honorar zu reden, ist mir zu eindimensional. Ich wünsche mir innovative Konzepte, von denen unsere Versicherten profitieren. Wir wollen Krankenkarrieren unserer rund sieben Millionen Mitglieder verhindern - dafür brauchen wir die Ärzte, wir sind ideale Partner.

Ärzte Zeitung: In der Rolle sehen sich andere Krankenkassen auch. Die Barmer hat bislang nicht gerade das Image einer modernen, innovativen Krankenkasse.

Fischer: Die Wahrnehmung stimmt aber nicht mit der Realität überein. Als große Versorgerkasse leben wir vor, wie man neue Konzepte umsetzt. Die Barmer ist schon mit dem Hausarztvertrag neue Wege gegangen. Wenn wir die Versorgung verbessern können, stehen wir als Partner bereit - für reine Marketingzwecke nicht.

Ärzte Zeitung: Wie wichtig ist ein positives Image einer Kasse in der Ärzteschaft? Überträgt sich so etwas auf die Patienten?

Fischer: Die Wertschätzung einer Kasse durch den Arzt ist sicherlich wichtig. Wenn eine Kasse besondere Versorgungsprogramme hat, wird der Arzt mit Sicherheit mit seinem Patienten darüber reden. Aber es gibt Grenzen: Empfehlungen, zu einer bestimmten Kasse zu wechseln, gehören nicht ins Sprechzimmer. Das Arzt-Patientenverhältnis darf dazu nicht benutzt werden.

Ärzte Zeitung: Sie haben die Rolle der Ärzte als mögliche Partner beschrieben. In jüngster Zeit werden aber immer wieder Forderungen laut, dass Ärzte verstärkt delegieren sollten. Ist "Schwester Agnes" für die Barmer ein Modell, mit der man die Versorgung verbessern kann?

Fischer: Ja, wenn sich Ärzte mehr auf ihre Kernkompetenz konzentrieren können. Sie ist für bestimmte Tätigkeiten einfach zu wertvoll, das gilt auch für die Dokumentation. Delegation ist also wichtig. Die Ärzte sollten bei diesem Thema die damit verbundenen Chancen beachten, statt sich hinter ihren Ängsten zu verschanzen.

ZUR PERSON

Die frühere Gesundheits- und Sozialministerin des Landes Nordrhein-Westfalen Birgit Fischer wechselte 2006 in den Vorstand der Barmer. Die SPD-Politikerin ist studierte Erziehungswissenschaftlerin, leitete ein evangelisches Bildungswerk und arbeitete als Gleichstellungsbeauftragte ihrer Geburtsstadt Bochum, bevor sie 1990 in den Landtag gewählt wurde.

Dort wurde sie schon im folgenden Jahr parlamentarische Geschäftsführerin, bevor sie von 1998 bis 2005 das Gesundheitsressort verantwortete. (di)

Lesen Sie dazu auch: Barmer sieht in Ärzten Partner

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