Akademien fordern eine Lockerung ärztlicher Schweigepflicht bei Gen-Tests

Drei deutsche Wissenschaftsakademien sehen dringenden Novellierungsbedarf mit Blick auf das seit Februar 2010 geltende Gendiagnostikgesetz.

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BERLIN (fuh). Das Wissenschaftler-Urteil fällt harsch aus: Wesentliche Teile des deutschen Gendiagnostikgesetzes entsprächen nicht dem aktuellen Stand der Technik, seien in der medizinischen Praxis kaum umsetzbar oder hätten gar negative Auswirkungen auf den Erfolg anerkannter Vorsorgeuntersuchungen, wie etwa auf das Neugeborenenscreening. Das Gesetz, das seit Februar 2010 in Kraft ist, sei dringend novellierungsbedürftig. Mit dieser harschen Stellungnahme hat sich jetzt die Akademiengruppe Leopoldina - Nationale Akademie der Wissenschaften, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften Acatech und schließlich die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften in der Öffentlichkeit positioniert. In einem Papier werden sämtliche Aspekte genetischer Untersuchungen an gesunden Menschen zur Vorbeugung von Krankheiten und damit die medizinischen, ethischen, ökonomischen und rechtlichen Dimensionen der Thematik analysiert.

Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Rolle von Familien bei der Gendiagnostik gelegt: Das Gesetz schätze die Schweigepflicht des Arztes höher ein als seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Patienten, heißt es. "Wird etwa bei einer Untersuchung nachgewiesen, dass ein Patient mit einer behandelbaren genetischen Erkrankung, die autosomal dominant vererbt wird, die ursächliche Mutation besitzt, wird ihm auch aufgetragen, seine Verwandten auf das Risiko einer möglichen Erkrankung hinzuweisen." Bei früher Diagnose ließen sich viele Erkrankungen effektiv behandeln. Das treffe etwa bei den erblichen Formen von Brustkrebs oder Darmkrebs zu.

Ärzte, heißt es in dem Papier weiter, hätten aber überhaupt keine Handhabe zu prüfen, ob diese Informationen tatsächlich innerhalb der Familie erfolgen oder gar bewusst unterbleiben. Konsequenz für die Akademien: Das Gesetz sollte die Fürsorgepflicht des Arztes nicht grundsätzlich nachrangig behandeln. Der Arzt müsse im Einzelfall abwägen können, ob er Familienangehörige bei klarem medizinischem Nutzen angemessen auf das Risiko einer Erkrankung hinweisen soll.

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