Alte AKW sorgen für Verunsicherung

In Hessen fordert die Opposition, Biblis A und B vom Netz zu nehmen, auch wegen unzureichender Notfallpläne.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
Die beiden Atommeiler Biblis A und B sind seit den 70er Jahren in Betrieb. Kritiker sehen viele Sicherheitsmängel.

Die beiden Atommeiler Biblis A und B sind seit den 70er Jahren in Betrieb. Kritiker sehen viele Sicherheitsmängel.

© Wölk / imago

WIESBADEN/BIBLIS. Der Beschluss des Bundestages zur Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke gilt auch für die ältesten Kraftwerke in Deutschland: Biblis A und B sollen acht Jahre länger am Netz bleiben. Nicht nur in Hessen ist diese Entscheidung umstritten. Auch die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) warnt vor Risiken.

Atomaufsicht bestätigt die beklagten Mängel

Die Geschichte der 1974 und 1976 in Betrieb gegangenen Blöcke ist eine Geschichte voller Pleiten, Pech und Pannen. Bereits 2005 beantragte IPPNW beim hessischen Umweltministerium die Stilllegung von Biblis B, 2008 legte die Organisation Klage beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel gegen den Betrieb ein.

Die Liste der Vorwürfe ist lang: Beispielsweise bestehen die Hauptkühlmittelleitungen von Block B aus einem veralteten Werkstoff und Schweißnähten. "Es kann jederzeit zur Störfallauslösung durch Leckagen kommen", so Henrik Paulitz von IPPNW. Es gebe auch kein schnell wirkendes chemisches Abschaltsystem, das sich etwa bei einem Heizrohrleck im Dampferzeuger einschalten müsste.

Anfang des Jahres erstellten Fachbeamte der Atomaufsichtsbehörden von Bund und Ländern mit Blick auf die Laufzeitverlängerung eine Nachrüstliste, die auch einen Teil der von IPPNW aufgedeckten Mängel bestätigt. Auf der Homepage des Bundesumweltministeriums heißt es dazu:

Die von den Aufsichtsbehörden vorgeschlagenen sicherheitstechnischen Nachrüstungen seien "in jedem Fall umzusetzen". Es sei an der hessischen Atomaufsicht, die Liste zu überprüfen und gegebenenfalls auf Nachrüstungen zu pochen.

IPPNW

In der deutschen Sektion von IPPNW sind mehr als 7000 Ärzte und Medizinstudenten Mitglied. Die Organisation setzt sich weltweit in über 60 Ländern für eine atomtechnologiefreie, friedliche und menschenwürdige Welt ein.

1985 bekamen die Aktivisten den Friedensnobelpreis.

www.ippnw.de

Politiker von SPD und Grünen fordern seit langem, die beiden Meiler vom Netz zu nehmen. Unter anderem, weil die Notfallpläne unzureichend seien: Je nach Windrichtung könne sich eine radioaktive Wolke von Biblis aus mehr als 600 Kilometer ausbreiten.

Dafür gebe es keine Evakuierungsszenarien. Gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz verweisen die Grünen zudem auf Defizite bei der Versorgung von Strahlenopfern. Nach einer Umfrage der Abteilung Nuklearmedizin der Uni Würzburg aus dem Jahr 2007 gebe es nur wenige Kliniken, die mit einer radiobiologischen Abteilung ausgestattet sind.

Für Dr. Rita Schneider vom WHO Kollaborationszentrum für medizinische Vorsorge und Hilfe bei Strahlenopfern (REMPAN) in Würzburg sind die Ergebnisse der Umfrage, bei der sie selbst auch mitwirkte, aber kein Grund zur Panik: "Jede Klinik weiß, wo sie im Notfall Rücksprache mit Experten halten kann"; sagte sie auf Nachfrage.

Auch was Logistik oder die Versorgung mit speziellen Arzneien angehe, stünden die Kliniken nicht hilflos da. Uneins sind sich Biblis-Befürworter, ob die Betonblöcke der beiden Meiler einem Flugzeugabsturz standhalten können. SPD und Grüne zweifeln daran. Die CDU gibt sich hingegen überzeugt, dass die Betonschichten zumindest den Beschuss einer Panzerfaust unbeschadet überstehen werden.

Für die CDU ist die Kritik der Opposition eine "reine Angstmacherei". Biblis sei sicher und erfülle alle Standards und Auflagen, so Peter Stephan, energiepolitischer Sprecher der Fraktion. Die Notfallpläne entsprächen den Rahmenempfehlungen und würden ständig aktualisiert. Die Menschen, so Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU), könnten "ganz beruhigt sein."

IPPNW will weiter für Ausstieg kämpfen

Die IPPNW wollen sich damit nicht zufrieden geben. Auch im Normalbetrieb bestehe eine erhöhte Gefahr: Der weitere Betrieb aller 17 deutschen AKW sei unverantwortlich. "Die Anti-Atom-Bewegung wird immer mehr Menschen auf die Straße bringen, zum Wechsel zu erneuerbaren Energien bewegen und verstärkt auch Klage erheben gegen die unsicheren AKW", kündigt Paulitz an.

Schlagworte:
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“