Kosten für Arznei-Innovationen heben ab
Arzneimittelrechnung der Krankenkassen zu hoch: AOK fordert AMNOG-Reform
Die Gesetzliche Krankenversicherung leidet an Anämie. Jetzt fordern Vertreter der Krankenkassen einen Sparbeitrag auch der Pharmaindustrie. Der soll Beiträge der Steuerzahler zur Arzneimittelforschung honorieren.
Veröffentlicht:Berlin. Die forschende Arzneimittelindustrie soll einen Sparbeitrag zur Konsolidierung der Krankenkassenfinanzen leisten. Das haben am Dienstag Vertreterinnen und Vertreter des AOK-Bundesverbands und des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) gefordert.
Dass die Bundesregierung die Pharmabranche zu einer Leitbranche und Deutschland zum weltweit führenden Standort für Biotechnologie ausgerufen hat, dürfe nicht dazu führen, dass die Hersteller von Pharmazeutika von allen Sparbeiträgen befreit würden, sagte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands Dr. Carola Reimann bei der Vorstellung des „Arzneimittel-Kompass 2025“ am Dienstag in Berlin. Der Arzneimittel-Kompass erscheint in der Springer-Verlag GmbH.
Der Geschäftsführer des WIdO Helmut Schröder forderte, das AMNOG-Verfahren um ein Element zur Kostenorientierung zu erweitern. So sollten im Verfahren der Preisfindung Zuschüsse der öffentlichen Hand zu den Forschungs- und Entwicklungskosten der Pharmaunternehmen nicht mehr wie Eigenleistungen der Unternehmen berücksichtigt werden dürfen.
„Öffentliche Gelder spielen eine weitaus größere Rolle bei der Entwicklung neuer Arzneimittel, als bislang allgemein angenommen“, sagte Privat-Dozentin Dr. Claudia Wild vom Austrian Institute für Health Technology Assessment bei der Vorstellung des Arzneimittel-Kompass. Was fehle sei eine standardisierte Berichterstattung über öffentliche Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Die Pharma-Industrie nutze dies, um den „Mythos“ aufrecht zu erhalten, ganz alleine für Forschung und Entwicklung Unsummen auszugeben, sagte Wild.
Tatsächlich werde ein erheblicher Teil des wissenschaftlichen und finanziellen Risikos von der Allgemeinheit getragen. In das Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Kommission flössen in großem Ausmaß Steuergeld, auch aus Deutschland.
Das von der Erasmus Universität in Rotterdam und dem Internationalen Verband der Krankenkassenverbände entwickelte Preisfindungsverfahren könne die Arzneimittelrechnung der Kassen um rund zwei Drittel senken helfen, sagte Schröder. Dies hätten Modellrechnungen mit hochpreisigen Arzneien gezeigt. Um plausible Preiskorridore zu finden, müssten die Hersteller daher zu Kostentransparenz verpflichtet werden. In die Rechnung einbezogen werden, sollten auch die „realen Behandlungsergebnisse“ und neue Erkenntnisse zu den Produkten.
65 Milliarden Euro: Arznei-Ausgaben vor neuem Rekord
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Arzneimittel-Rechnung der Krankenkassen um rund 80 Prozent auf 59,3 Milliarden Euro im Jahr 2024 verteuert. Die Verordnungen legten im gleichen Zeitraum um 15,2 Prozent zu, die Zahl der GKV-Versicherten um 5,5 Prozent.
Im laufenden Jahr ist der Trend ungebrochen. Nach drei Quartalen zeichne sich für das laufende Jahr ein weiterer Anstieg der Arzneimittelrechnung der Kassen ab, rechnet der AOK-Bundesverband vor. Voraussichtlich mehr als 65 Milliarden Euro dürften am Jahresende unter dem Strich stehen. Neuer Rekord! Zum Vergleich: Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte durften im vergangenen Jahr nur etwas mehr als 50 Milliarden Euro mit den Kassen abrechnen.
Zusammenspiel von HTA und Zulassung
Nutzen- und Risikobewertung neuer Arzneimittel: Die Sicht des BfArM
„Allein gegenüber dem Vorjahr sind die Arzneimittelausgaben um etwa zehn Prozent gestiegen. Im Vergleich zu 2011 sogar um 125 Prozent“, sagte Reimann.
Die 2011 mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz eingeführten Preisregulierungsmechanismen griffen nicht mehr, warnte die Verbands-Chefin. Kurzfristig sollten der Herstellerrabatt von sieben auf 16 Prozent hochgesetzt werden, was „die Industrie gut verschmerzen könnte“, sagte Reimann. Der GKV würde dieser Schritt 1,8 Milliarden Euro ersparen. Um die Ausgaben der Kassen zu verringern wäre auch die Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent ein „guter Schritt“, so Reimann. (af)






