Clusterkopfschmerz
Auf bessere Versorgung und Vernetzung pochen
Nur 30 Prozent der rund 400.000 Clusterkopfschmerz-Patienten in Deutschland erhalten die korrekte Diagnose - und das oft viel zu spät. Kompetenzzentren sind für Betroffene, Angehörige und Mediziner eine wichtige Anlaufstelle. Doch es gibt noch zu wenige davon.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Eine junge Frau, die vor Schmerzen stöhnt und schreit. Immer wieder schlägt sie mit den Armen auf ihr Bett, ein Bein zuckt unkontrolliert zur Seite. Eine Angehörige versucht sie zu trösten und spricht beruhigend auf sie ein - vergeblich.
Über zwei Minuten dauert der Videomitschnitt dieser Schmerzattacke, die der Bundesverband der Clusterkopfschmerz-Selbsthilfe-Gruppen (CSG) auf seiner Website eingestellt hat.
Die kurze Filmsequenz ist ein beeindruckendes Zeugnis: Das können Schmerzen in einem Menschen auslösen. Auch nicht Betroffene sehen: Es geht um unerträgliche Schmerzen, die sogar Selbstmordgedanken auslösen können.
Schmerzattacken können bis zu drei Stunden dauern
Und die Schmerzattacken bei Clusterkopfschmerzen (CKS) dauern erheblich länger, als in dem Film zu sehen ist. Zwischen 15 Minuten und drei Stunden dauern solche Attacken. Bis zu acht solcher Anfälle pro Tag müssen Betroffene erleiden.
Die einseitig um das Auge auftretenden Schmerzen sind von Augenrötung, Tränen und Nasenlaufen und oder -verstopfung begleitet. Trotz der unerträglichen Schmerzen erhalten rund 60 Prozent der Betroffenen nie eine adäquate zeitgemäße Behandlung. Nur rund 30 Prozent werden überhaupt adäquat diagnostiziert.
Harald Müller, Präsident der CSG, weiß das aus eigener Erfahrung. Seit rund 25 Jahren lebt er mit Clusterkopfschmerzen. Er ist einer von rund 400.000 Betroffenen in Deutschland.
"Von der ersten Attacke bis zur richtigen Diagnose verstreichen im Durchschnitt acht Jahre", sagt Professor Hartmut Göbel von der Kieler Schmerzklinik.
Er sieht monatlich zwischen 50 und 70 Patienten mit Clusterkopfschmerzen, weil seine Einrichtung eines von bundesweit acht Kompetenzzentren für diese Krankheit ist.
Ein Hausarzt dagegen bekommt in seinem ganzen Berufsleben nach Schätzungen Göbels ein oder zwei Patienten mit Clusterkopfschmerzen zu sehen - und kann sie deshalb auch nur schwer diagnostizieren.
Betroffene haben selbst schon vor Jahren die Kriterien formuliert, die sie von einer kompetenten Einrichtung erwarten. Sie stellen selbst die Zertifizierung aus. Dass inzwischen acht Einrichtungen in Deutschland diese Voraussetzungen erfüllen, ist ein Fortschritt, reicht aber nicht aus.
Nördlich von Bochum gibt es derzeit nur ein einziges Kompetenzzentrum. Bundesweit sollte es nach Vorstellungen Müllers ungefähr doppelt so viele geben wie derzeit.
Um die Situation zu verbessern, verstärken die Betroffenen die Arbeit auf politischer Ebene und streben einen stärkeren internationalen Austausch an, damit die Zentren voneinander lernen können. Die Kieler Clusterkopfschmerztage - kürzlich trafen sich dazu rund 150 Experten aus zehn Nationen - waren der Anfang.
Schnellere Diagnose ist ein Ziel
Die Tagung, so ein Ziel, sollte zu einer grenzüberschreitenden Optimierung der Versorgung beitragen. Konkret einigten sich die Teilnehmer auf folgende Forderungen:
- Die Zeit bis zur Diagnose muss in allen EU-Staaten verkürzt werden. Die durchschnittlichen Zeiten betragen aktuell je nach Land zwischen 3,5 (Holland) und zehn Jahren (Ungarn). Außerdem müssen europäische Therapieleitlinien erarbeitet werden.
- In allen Staaten liegt aktuell eine Unterversorgung der CKS-Patienten vor. Der Zugang zu wirksamen Therapien ist erforderlich, Angehörige müssen einbezogen werden. Außerdem müssen Programme zur Versorgung besonderer CKS-Patientengruppen (Kinder, Schwangere, Senioren) geschaffen werden.
- Eine deutliche Intensivierung der Forschung ist notwendig, um zu ausreichend wirksamen Medikamenten zu gelangen.
- In allen Staaten sollten spezialisierte Zentren entstehen und ein unlimitierter Zugang gewährleistet werden. Als Alternative sollte Patienten der grenzüberschreitende Zugang zu einem spezialisierten Zentrum eines anderen Landes ermöglicht werden.
- Eine EU-weite Vernetzung der Kopfschmerzzentren sollte gefördert werden.
- Die Berücksichtigung der trigemino-autonomen Kopfschmerzen in der Ausbildung ist notwendig.
- Präventive Maßnahmen müssen ausgebaut werden.
Kieler Schmerzklinik hat Verträge mit allen Kassen
Müller hofft nun, dass die deutschen Zentren Vorbild für vergleichbare Einrichtungen in anderen Ländern werden. In der Politik zeigt die Arbeit des Verbandes erste Wirkung. Martin Schulz (SPD), Präsident des Europäischen Parlamentes, wurde als Schirmherr der Veranstaltung gewonnen.
Als Begründung schrieb Schulz: "Unser Organ erkennt an, dass im Bereich der medizinischen Forschung, Analyse und folglich auch der Behandlung von Patienten in Europa ein besser koordinierter Ansatz erforderlich ist."
Zugleich machte Schulz deutlich, dass er die Vernetzung zwischen Patienten und medizinischem Fachpersonal schätzt. Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hofft auf grenzüberschreitende Erkenntnisse.
Damit wollen sich die Betroffenen und die behandelnden Ärzte aber nicht zufrieden geben. Göbel und Müller wollen erreichen, dass die Zeitspanne zwischen erster Schmerzattacke und Diagnose deutlich verringert wird - durch permanente Information und Aufklärung. Zugleich müsse der Zugang zu den Kompetenzzentren erleichtert werden.
Die Kieler Schmerzklinik hat inzwischen Verträge mit allen Krankenkassen, ist aber eine Ausnahme. Nicht jede Kasse zahlt an jedem Kompetenzzentrum die Behandlung. Und auch bei der ärztlichen Selbstverwaltung ist laut Müller noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Wenn er in KVen über die Notwendigkeit von Verordnungen für seine Gruppe sprechen will, fühlt er sich nicht immer ernstgenommen.Hilfreich für die Betroffenen ist das Internet. Patienten, die ihrem Arzt ihre Attacken schildern wollen, können auf die im Netz eingestellten Berichte zurückgreifen.
Die Schmerzen nach einer Attacke selbst in Worte zu fassen und glaubhaft so zu schildern, dass der Arzt es nachvollziehen kann, ist nämlich weit schwerer als gedacht. Ärzte, denen Patienten vergleichbare Schmerzen schildern wie die Niederländerin sie erleidet, sollten schnellstens in ein Kompetenzzentrum überweisen.