Auszeichnung

Herbert-Lewin-Preis für Amir Wechsler und Aaron Pfaff

Die aktuelle politische Lage war bei der diesjährigen Verleihung des Herbert-Lewin-Preises zur Aufarbeitung der Rolle der Ärzteschaft im Dritten Reich so präsent wie selten. Geehrt wurden der Medizinhistoriker Dr. med. Amir Wechsler sowie der Historiker Aaron Pfaff.

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Die beiden Preisträger Dr. med. Amir Wechsler (l.) und Aaron Pfaff (r.) mit den Holocaust-Überlebenden Leon Weintraub und Margot Friedländer.

Die beiden Preisträger Dr. med. Amir Wechsler (l.) und Aaron Pfaff (r.) mit den Holocaust-Überlebenden Leon Weintraub und Margot Friedländer.

© Madlen Schäfer

Berlin. Der Medizinhistoriker Dr. med. Amir Wechsler sowie der Historiker Aaron Pfaff sind am Freitagnachmittag im Berliner Jüdischen Museum mit dem „Herbert-Lewin-Preis 2023“ ausgezeichnet worden. Der Preis wird für Forschungsarbeiten verliehen, die sich mit der historischen Aufarbeitung der Rolle der Ärzteschaft im Nationalsozialismus beschäftigen.

Aaron Pfaff überzeugte die Jury mit seiner Arbeit „Geschichte der verfassten Ärzteschaft auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg von 1920 bis 1960“. Die 40 Jahre umfassende Analyse offenbart nach Ansicht der Jury die Verstrickungen der ärztlichen Standesorganisationen während der NS-Zeit sowie die Kontinuität der schuldhaften Akteure und deren Verbleiben in einflussreichen Positionen auch nach 1949. Unterstützt wurde die wissenschaftliche Arbeit von der Landesärztekammer Baden-Württemberg.

Die Arbeit könne als Muster und Anregung sowie politisches Signal für andere Standesorganisationen dienen, ihre Geschichte proaktiv aufzuarbeiten und sich mit ihr und den belasteten ehemaligen Mitgliedern nach nunmehr fast 80 Jahren nach Kriegsende auseinanderzusetzen, so die Jury.

Klare Worte des BÄK-Präsidenten

Amir Wechsler erhielt den Preis für seine Arbeit „‘Ich ging nur mit einem kleinen Handköfferchen aus Dortmund fort‘ – Die Verfolgung und Vertreibung der deutsch-jüdischen Ärzte in Dortmund in der Zeit des Nationalsozialismus“. Die akribische Darstellung der einzelnen Biografien vermittelt nach Auffassung der Jury einen tiefgehenden Eindruck vom Leid der Betroffenen.

So werde abgebildet, welchen Schmerz die Verfolgten erleiden mussten, als ihnen die berufliche Integrität mit dem Entzug der Zulassung zu den Krankenkassen genommen, die ärztliche Approbation aberkannt und der Doktorgrad entzogen wurde und welche unvorstellbaren Qualen die Verfolgten durch den Verlust der Heimat und von Familienangehörigen erlebten. Die Opferperspektive lasse sich auf die Fläche des gesamten damaligen Reichsgebiets spiegeln.

Beide Preisträger erhalten ein Preisgeld von 7.500 Euro. Der Preis wird vom Bundesgesundheitsministerium, gemeinsam mit der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung verliehen.

„Nie stand die Preisverleihung in einem so aktuellen und politischen Kontext wie heute“, sagte Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, zu Beginn der Veranstaltung. Besonders schockierend seien die Terror-Angriffe der Hamas vom 7. Oktober und die weltweiten antisemitischen Kundgebungen und Übergriffe. „Die bittere Wahrheit ist, Jüdinnen und Juden müssen sich in Deutschland wieder um Leib und Leben sorgen, wenn sie sich im öffentlichen Raum als Juden zu erkennen geben“, so Reinhardt.

Leon Weintraub und Margot Friedländer waren Ehrengäste

Menschen in Gesundheitsberufen müssten sich jetzt dem Antisemitismus entgegenstellen. „Es ist jetzt an der Zeit, unmissverständlich klarzustellen, dass in unserem Land und auch in unserem Gesundheitswesen Menschenhass, Intoleranz und Antisemitismus nie wieder einen Platz haben“, sagte Reinhardt. Angesichts dessen sei es von besonderer Bedeutung, dass die Ärzteschaft ihre eigene Vergangenheit in der Nazizeit aufarbeite.

„Die Vergangenheit ist unsere Verpflichtung für die Zukunft“, sagte Reinhardt. Deshalb ist die historische Aufarbeitung der Rolle der Ärzteschaft im Dritten Reich das Ziel des Herbert-Lewin-Preises, welcher zugleich an engagierte Ärzte erinnern soll, die im Nationalsozialismus ermordet oder verfolgt worden sind. Ehrengäste der Verleihung waren die beiden Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer und Leon Weintraub, die mit Standing Ovations begrüßt wurden.

„Es ist eine sehr schöne Anerkennung für die Arbeit, insbesondere aufgrund der Aktualität. Ich bin erschüttert, wie Vieles, zu dem ich geforscht habe, jetzt wieder auf der Straße zu sehen ist. Von daher freue ich mich, dass Margot Friedländer und Leon Weintraub an der Preisverleihung teilgenommen haben“, sagte Preisträger Amir Wechsler der Ärzte Zeitung.

Der Herbert Lewin-Preis wird alle zwei Jahre verliehen. Benannt ist er nach dem deutschen Arzt Professor Herbert Lewin. Er war ab 1937 Chefarzt im Jüdischen Krankenhaus in Köln. 1941 wurde er von den Nazis ins Ghetto in Lodz deportiert. Lewin arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg wieder als Arzt. Von 1963 bis 1968 hatte er das Amt des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland inne. (mas)

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