Geistig Behinderte

Besondere Menschen in der Arztpraxis

Sie können ihre Beschwerden selten klar artikulieren und verhalten sich manchmal irritierend. Die Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung stellt hohe Anforderungen an Ärzte und Praxisteams.

Von Katrin Berkenkopf Veröffentlicht:
Geistig behinderte Menschen bei der Arbeit in einer Werkstatt. Für Erwachsene fehlen gute Versorgungsangebote.

Geistig behinderte Menschen bei der Arbeit in einer Werkstatt. Für Erwachsene fehlen gute Versorgungsangebote.

© Unkel/imago

DÜSSELDORF. Geistig behinderte Menschen leiden nicht nur unter den unmittelbaren körperlichen Folgen ihrer Behinderung. Sie sind auch in der allgemeinen gesundheitlichen Versorgung benachteiligt.

Um ihre Situation zu verbessern, braucht es neue Konzepte, Weiterbildung von Ärzten und Pflegepersonal und nicht zuletzt mehr finanzielle Ressourcen - darin waren sich die Teilnehmer eines Symposiums der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNo) einig.

"Menschen mit geistiger Behinderung sterben früher, auch weil Krankheiten aufgrund ihrer Behinderung zu spät oder gar nicht erkannt und therapiert werden", sagte Professor Susanne Schwalen, Geschäftsführende Ärztin der ÄKNo.

In Deutschland leben 400 000 bis 500 000 geistig behinderte Menschen. Studien haben gezeigt, dass rund 40 Prozent der geistig Behinderten unter psychischen Störungen leiden. Etwa die Hälfte aller Betroffenen mit schwerer Behinderung leiden unter Epilepsie.

In einem reaktiven Gesundheitssystem, das in erster Linie erst dann den Diagnose- und Therapieprozess in Gang setzt, wenn Patienten Beschwerden äußern, haben es Behinderte mit ihrer eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit schwer, so Schwalen.

Auch Angehörige und Betreuer würden Krankheitssymptome oft nicht erkennen. Nötig sei die Einrichtung von Kompetenzzentren für die gesundheitliche Versorgung von geistig Behinderten. Während es im Kinder- und Jugendbereich entsprechende Angebote gebe, fehlten sie für erwachsene Patienten fast völlig.

Die Landesgesundheitskonferenz Nordrhein-Westfalen befasst sich in diesem Jahr mit der Gesundheitsversorgung behinderter Menschen. "Das bedeutet eine gewisse Nachhaltigkeit des Themas", sagte der Landes-Behindertenbeauftragte Norbert Killewald.

"Menschen mit Behinderung haben eine Recht auf eine angemessene Diagnostik und ausdifferenzierte Therapie", betonte Ralf Berkenfeld, niedergelassener Neurologe aus Neukirchen-Vluyn.

Der Arzt - nur ein Verordner?

Dies sei aber komplizierter und langwieriger als bei nicht-behinderten Patienten. Auch er beklagte Versorgungslücken. "Patienten mit Dreifachmorbidität - Epilepsie, geistige Behinderung und schwerer Verhaltensstörung - sind kaum angemessen zu versorgen."

Es fehlten diagnostisches und therapeutisches Wissen und nicht zuletzt ganzheitliche Versorgungskonzepte für behinderte Menschen.

"Mit Menschen mit Behinderung muss man anders umgehen und diesen Umgang lernen", sagte ÄKNo-Expertin Schwalen. Die Besonderheiten dieses Umgangs in der Praxis schilderte Professor Stefan Wilm, niedergelassener Hausarzt in Köln und Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

"Ich gestehe, ich finde es schwer, mit Menschen mit geistiger Behinderung umzugehen", sagte er und brachte Beispiele. Der Vorsatz, Menschen mit Behinderung wie alle anderen Patienten zu behandeln, stoße immer wieder an Grenzen.

Etwa, wenn ein geistig behinderter Mann im Wartezimmer sehr laut und unruhig wird. "Ist es "normal", wenn ich ihn dann früher drannehme, oder sollte er genau so lange warten wie der schniefende und der demente Patient?"

Sexualität sei ein großes Thema im Umgang mit dieser Gruppe, sagte der Hausarzt. Da gebe es etwa die Patientin, die regelmäßig anal untersucht werden möchte und sich bei jeder Untersuchung des Bauches gleich die Unterhose runterzieht. Dann weist Wilm sie freundlich darauf hin, dass dies nicht notwendig ist.

Nicht zuletzt die Angehörigen stellen Ärzte vor Probleme. Einige haben sich so daran gewöhnt, die Rolle des Vormunds zu übernehmen, dass sie den Patienten selbst gar nicht zu Wort kommen lassen oder den Arzt nur als Verordner der gewünschten Medikamente sehen, berichtete Wilm.

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