Demografie-Strategie mit Fragezeichen
Von den Sorgen der Ärzte bis zur Alterung der ganzen Gesellschaft. Der Bundestag debattiert am Donnerstag über die Demografie. Doch wie mit ihr umgegangen werden soll, darüber herrscht wenig Einigkeit. Innenminister prescht mit einer besonderen Idee vor.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Themen "ärztliche Versorgung der alternden Bevölkerung" und "Pflege" dominieren die Woche.
Die Abgeordneten, die am Donnerstag im Bundestag in erster Lesung die Pflegereform beraten, haben ausreichend Stoff erhalten, um ihre Argumente zu drechseln.
Den Aufschlag machte die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die am Montag ihr Konzept zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung in Pflegeheimen vorgeschlagen hat.
Am Dienstag folgten die gesetzlichen Krankenkassen und ihr Medizinischer Dienst. Sie legten im 3. Pflege-Qualitätsbericht offen, dass es um die Versorgung der mehr als 700.000 Menschen in Pflegeheimen nicht zum Besten bestellt ist.
Am Mittwoch meldete sich die Bundesregierung zu Wort. Stichwort Demografiestrategie. Immer mehr Menschen erreichen ein Alter, in dem Pflegebedürftigkeit droht.
Deshalb soll sich das Land altersgerecht umbauen. "Die Spanne zwischen dem Eintritt der Pflegebedürftigkeit und dem Tod soll verkürzt werden", sagte Innenminister Dr. Hans-Peter Friedrich bei der Vorstellung der Strategie am Mittwoch.
Weichen bereits gestellt?
Es sollen für die immer weniger werdenden Bewohner Deutschlands möglichst viele Jahre bei guter Gesundheit gewonnen werden. Die sollten die "jungen Senioren" in den Erhalt der Wettbewerbs- und Wachstumsfähigkeit Deutschlands stecken können.
Zur Zukunft der ärztlichen Versorgung sagt die Strategie nichts Neues. Das im Januar in Kraft getretene Versorgungsstrukturgesetz wird als Beleg herangezogen, dass die Weichen für eine "flächendeckende, wohnortnahe und bedarfsgerechte medizinische Versorgung" in der Zukunft bereits gestellt sind.
Innenminister Friedrich räumte ein, dass es Landflucht gebe und dass in manchen Regionen Arztpraxen, Apotheken, Schulen und sogar die Rathäuser auf Räder gesetzt werden müssten, um noch alle zu erreichen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Demografiestrategie: Prävention in den Betrieben und ein "Aktionsplan Prävention und Ernährung" sollen Volkskrankheiten wie Burn Out, Diabetes und Herz-Kreislauf-Schwächen zurückdrängen, mithin dringend benötigte Arbeitskraft solange wie möglich erhalten helfen.
Von begleitenden gesetzlichen Regelungen, um den Aufforderungen zu einer gesünderen Lebensführung mehr Gewicht zu verleihen, ist in der Demografiestrategie keine Rede.
Das ist in der Koalition nicht Konsens. Ein Präventionsgesetz haben die Regierungspartner Union und FDP im Koalitionsvertrag ausdrücklich ausgeschlossen. Die Gesundheitspolitiker der CDU/CSU-Fraktion rücken nun davon wieder ab.
Spahn fordert gesetzliche Regeln zur Prävention
"Wir wollen konkrete Gesundheitsziele für Deutschland, die der Bundestag berät, beschließt und kontrolliert. Damit Prävention verbindlicher wird, wird es ganz ohne gesetzliche Regelungen nicht gehen," sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, am Mittwoch.
Die Arbeitsgruppe Gesundheit der Union hat dafür ein Eckpunktepapier mit dem hoffnungsfrohen Titel "Glückliches Deutschland: Gesundheitsbewusstsein und Vorbeugung" aufgelegt.
Darin wird nicht weniger gefordert als die Säule Prävention gleichberechtigt neben denen von Kuration und Rehabilitation aufzustellen, was erhebliche Umbauarbeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Unfallversicherung bedeuten würde.
Auch zur Zukunft der Pflege steht in der Demografiestrategie nur das, was die Koalition an gesetzlichen Vorhaben bereits aufs Gleis gesetzt hat: Das Pflege-Neuausrichtungsgesetz, das am Donnerstag Thema im Bundestag ist, die Einbeziehung der Demenz in den Pflegebedürftigkeitsbegriff, was noch geraume Zeit dauern dürfte, und das Pflegeberufegesetz, das die Ausbildungen der Pflegeberufe zusammenführen soll.
Um den längst manifesten Fachkräftemangel in der Pflege zu mildern, sollen Helfer im Ausland angeworben werden. Eine Zielgruppe seien die Heerscharen von arbeitslosen jungen Menschen in Spanien, sagte Friedrich.
Der Opposition ist das alles zuwenig: "Die Regierung entwickelt keine Vision, wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen soll", meldeten sich die Grünen-Politikerinnen Tabea Rößner und Ekin Deligöz am Mittwoch zu Wort. Die Demografiestrategie sei alter Wein in neuen Schläuchen.